„Mehr Menschen werden sterben“

„Mehr Menschen werden sterben“

Warum die Operation Triton versagen wird

Interview mit Barbara Lochbihler

Frau Lochbihler, was halten Sie vom Start der Operation Triton?

Da es im Vergleich zur italienischen Operation Mare Nostrum nur einen Bruchteil der Gerätschaften und Finanzen zur Verfügung stellt, kann Triton unmöglich im gleichen Umfang Seenotrettung betreiben wie Mare Nostrum. Es ist beschämend, dass sich die EU und ihre Mitgliedstaaten nicht dazu durchringen konnten, Mare Nostrum, da mittlerweile mindeste3ns 100 000 Menschen das Leben gerettet hat, weiterzuführen. Das ist politisch untragbar. Die Politiker, die das mitentscheiden, müssen ja wissen, dass wieder mehr Menschen ihre Leben verlieren werden

Welche Gefahren birgt Triton?

Es werden weniger Menschen in Seenot gefunden und damit gerettet werden können. Auch in der Zeit von Mare Nostrum sind noch Menschen umgekommen, man spricht von 2000 bis 3000 Toten. Dass dennoch so viele Menschen gerettet werden konnten, lag auch daran, dass die Italiener sehr weit auf das Meer hinausgefahren sind, fast bis an die libysche Grenze. Triton hingegen hat nur ein sehr begrenztes Einsatzgebiet, eigentlich ja nur den Küstenstreifen. Viele Menschen werden dann einfach nicht mehr gefunden werden.

Können Sie nachvollziehen, dass sich Italien weige4rt, weiterhin allein die Verantwortung zu tragen?

Selbstverständlich! Und das sollte auch so nicht sein. Nach dem Unglück vor Lampedusa im vergangenen Jahr haben EU-Größen wie Marin Schulz oder José Baroso gesagt, dass dieses Unglück uns Ansporn sein muss und dass es eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik braucht. Mare Nostrum war ja noch nicht einmal eine solche Kehrtwende, sondern da wurde beim Minimum angesetzt, um Leben zu retten. Ein Jahr später wird nicht mal das mehr unterstützt, geschweige denn, dass es eine Kehrtwende gibt.

Wie kann die Verantwortung besser verteilt werden?

Die EU-Mitgliedsstaaten müssten einfach mehr Geld aufbringen. Anstatt die Mittel für die Grenzschutzmaßnahmen von Frontex zu verschwenden, hätte man sie für Rettungsmaßnahmen nutzen müssen. Außerdem müsste die Dublin-Verordnung aufgehoben werden, die besagt, dass die Flüchtlinge in dem EU-Land bleiben müssen, in das sie bei ihrer Flucht eingereist sind.

Es werden Forderungen laut, dass man die Menschen gar nicht erst in die Situationen kommenlässt, über den Seeweg zu fliehen, zum Beispiel indem man in bestimmten Fällen die Visumspflicht aufhebt. Für wie zielführend halten Sie das?

Wir müssen unbedingt legale Wege schaffen, auf denen Schutzsuchende in die EU einreisen können, um dann hier einen Antrag auf Asyl stellen zu können. Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, dass die Menschen über die Städte ausreisen, in denen es EU-Botschaften gibt. Allerdings ist es für viele gefährlich, sich in den Botschaftsvierteln aufzuhalten. Hier müsste über Anlaufpunkte nachgedacht werden. Aber mit einem humanitären Visum könnten die Flüchtlinge beispielsweise mit dem regulären Fährbetrieb nach Italien einreisen. Dann müsste man aber auch das Aufnahmeverfahren ändern.

Warum?

Wegen der Dublin-Verordnung. Deshalb sollte man überlegen, ein bestimmtes Gebiet zum Beispiel in Italiens Grenzbereich als ein europäisches Gebiet auszuweisen. Diese Idee steht noch ganz am Anfang der politischen Debatte, aber ich denke, dass wir nicht um solche Änderungen herumkommen. Wir Grünen fordern die legale Einreise ohnehin, aber die Idee, ein europäisches Territorium zu schaffen, in dem das Dublin-Abkommen nicht greift, ist ein Gedanke, den man verfolgen sollte.

Barbara Lochbihler (Grüne) ist seit 2009 EU-Abgeordnete und war von 2011 bis Juli 2014 Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses; jetzt ist sie Vizepräsidentin dieses EU-Gremiums. Lochbihler, 1959 im Allgäu geboren, ist Finanzbeamtin, Sozialarbeiterin und Politologin.

Quelle: Frankfurter Rundschau, Thema des Tages, 1./2. November 2014, Seite 3

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