Stephan Hebel: Bürger vor der Bank

Die Abschottung der Europäischen Zentralbank gegen den Protest gleicht einer pauschalen Kriminalisierung der Demonstranten. Für die Stärke unseres Systems spricht sie nicht.

Im Jahre 1848 fiel der 18. März auf einen Samstag. Damals zerschlugen die Truppen des preußischen Königs eine Demonstration am Stadtschloss in Berlin, die eigentliche dem Dank an den Herrscher gewidmet war: Er hatte gerade die Pressefreiheit gewährt und einige andere bescheidene Reformen verkündet. Als die Kundgebung sich nicht so schnell auflösen mochte, wie von der Staatsmacht gewünscht, schlug diese zu. Es kam zu Kämpfen, 270 Menschen starben. Seitdem gilt der 18. März als symbolisches Datum für den Kampf um Menschen- und Bürgerrechte in einem einigen Deutschland. Auch wenn der König die Demonstranten sicher zumindest insgeheim für Chaoten hielt.

Die Machtbauten unserer Zeit sind keine Schlösser, und es sind auch nicht nur die Staatskanzleien und Ministerien. Die Macht, das hat sich inzwischen herumgesprochen, ist nicht nur in den Gebäuden der Regierung zu Hause. Sie sitzt nicht zuletzt in den Palästen der Banken. Und auch in der Europäischen Zentralbank (EZB), die an diesen Mittwoch [18.03.2015] ihr neues Hochhaus in Frankfurt eröffnet.

Macht gegen den `Druck der „Straße“´[!]

Die EZB wird gegen ihre demonstrierenden Kritiker nicht mit preußischen Grenadieren verteidigt, und ein derart furchtbarer Ausgang wie 1848 in Berlin ist keineswegs zu erwarten. Aber im Frankfurter Osten konnte man schon seit Tagen bestaunen, wie auch die bestimmenden Mächte des 21. Jahrhunderts den Druck der „Straße“ fürchten.

Stacheldraht, Personenkontrollen, tagelang andauernde Verkehrsbeschränkungen, polizeiliche Schnüffelei bei auswärtigen Busunternehmen wegen anreisender Demonstranten, Beschränkung der Medienpräsenz auf ein minimales Aufgebot – das ist mehr als die angemessene Vorsorge gegen die durchaus vorhandene Militanz eines Teils der Demonstranten, mit der so etwas seit Menschengedenken begründet wird. Es wirkt, da haben die Blockupy-Organisatoren recht, wie ein Versuch der EZB und ihrer staatlichen Beschützer, den Widerstand gegen die herrschende Politik pauschal zu kriminalisieren. Und das in einer Stadt, in der die Grünen mitregieren.

Ja, es werden an diesem Tag auch Leute demonstrieren, die gewalttätige Eskalation für eine politische Handlung halten. Aber wann endlich ist Schluss mit der sehr alten Tradition, so zu tun, als bestünde Protest nur daraus und bedeute den Untergang der bestehenden und einzig segensreichen Ordnung? Was ist es wert, dass 1848 die Meinungsfreiheit erkämpft worden ist, wenn ihre halbwegs massenhafte Ausübung wie ein Angriff der Außerirdischen behandelt wird? Die Politiker, die all das in Stadt und Land verantworten, können sich ihre Pflichtbekenntnisse zum Demonstrationsrecht auch sparen.

ein Bürgerrecht ausüben

Das Schlimmste ist vielleicht, dass die Kriminalisierung in den Köpfen vieler Menschen längst wirkt. Diejenigen, die demonstrieren wollen, geistern als „Aktivisten“ oder „Protestler“ oft selbst durch wohlmeinende Medien, aber diesen einen Namen gibt man ihnen fast nie: Bürgerinnen und Bürger. Das Bewusstsein, dass sie genau das sind – und in ihrer großen Mehrheit nichts anderes tun, als ein Bürgerrecht auszuüben -, droht zu verschwinden hinter den Bildern von Polizeikontrollen und Stacheldraht und den Belagerungsfantasien der Verantwortlichen.

Frankfurt am 18. März 2015?  – um soziale Bürgerrechte gekämpft.  Friedlich und stark.

Vielleicht sollte man sich mal vorstellen, was künftige Historiker sage könnten, wenn sie auf Frankfurt am 18. März 2015 schauen. Sie könnten sagen, dass fast ganz Europa beherrscht war von der Macht der Finanzmärkte und einer Politik, die sie auf Biegen und Brechen verteidigte; dass es zum Glück in den Euro-Ländern auch Widerstand gegen die Folgen einer Politik gab, die die Zentralbank mit exekutierte: wachsende Unterschiede zwischen Arm und Reich und skandalöse soziale Verhältnisse vor allem im Süden des Kontinents; dass die Partei, die diesen Widerstand vertrat, in einem kleinen Land sogar an die Regierung kam – was der Rest Europas, angeführt von Berlin (und Frankfurt), mit kalter Verachtung bestrafte; dass über durchaus vorhandene Alternativen, die auch im Interesse der reichen Länder gelegen hätten, überhaupt nicht gesprochen worden wäre, hätte nicht wenigstens eine Minderheit auf der Straße dagegen angeschrien.

Den künftigen Historikern wird klar sein, dass auch die Linksregierung in Griechenland der Erpressung der Gläubiger (an der sich die EZB beteiligte) nicht immer mit Geschick begegnete. Sie werden wissen, dass nicht jeder Gegenvorschlag zur herrschenden Politik von Weisheit getragen war. Aber eines werden sie, im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen unserer Tage, nicht übersehen: Ein System, das es für nötig erachtet, sich mit Worten und Stacheldraht derart abzuschotten, ist blind geworden für die Reformen, die Europa dringend benötigt hätte. Deshalb brauchen wir heute wieder einen Kampf um Bürgerrechte, vor allem auch um die sozialen. Wenn sich die Demonstranten als Teil davon verstehen, werden sie sich am Abend des 18. März 2015 um Europa verdient gemacht haben. Friedlich und stark.

© Stephan Hebel: Bürger vor der Bank. Leitartikel: Frankfurter Rundschau, 18.03.2015, Seite 11.

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