Christian W. Zöllner:
Deutsch-Herero-Krieg 1904
Eine Betrachtung unter dem Aspekt Völkermord.
Kiel: Lorenz-von-Stein-Institut (Arbeitspapier 106) 2017, 173 Seiten.
Jonas Kreienbaum* stellt die Ausarbeitung von Christian Zöllner vor, die wir hiermit zur kritischen Besprechung stellen:
Im Sommer 2015 sprach das Auswärtige Amt erstmals offiziell von einem „Völkermord“, den das Deutsche Reich während des Kolonialkrieges (1904-1908) gegen Herero und Nama im damaligen Deutsch-Südwestafrika verübt habe. Angesichts der weitgehenden Einigkeit, die unter Historikern und Sozialwissenschaftlern herrscht, dass es sich um eine genozidale Politik des Kaiserreichs gehandelt habe, lässt sich dieser Schritt nur als überfällig bewerten.
Umso merh durfte es verwundern, als der renommierte Afrika-Korrespondent des „Spiegel“, Bartholomäus Grill, ein Jahr später Zweifel an der Genozidthese anmeldete. Nun hat Christian W. Zöllner an der Uni Kiel eine kurze Monografie zum „Deutsch-Herero-Krieg 1904“ vorgelegt, die in dieselbe Kerbe schlägt:
Der im südlichen Afrika aufgewachsene Zöllner konzentriert sich in seiner Studie auf die Ereignisse im Jahr 1904. Er rekonstruiert die häufig geschilderten Umstände der Schlacht am Waterberg, in der der deutsche Oberbefehlshaber Lothar von Trotha dem dort versammelten „Volk der Herero“ den entscheidenden Schlag versetzen wollte, die anschließende Verfolgung der Herero in die Omaheke-Halbwüste, den sogenannten „Vernichtungsbefehl“ Trothas, mit dem dieser seinen Truppen untersagte, Gefangene zu machen, und die Absperrung der Wüste, in der schließlich Tausende Herero verdursteten. Dabei stellt Zöllner ausgiebige Zitate aus zeitgenössischen Primärquellen – vor allem Tagebücher und Memoiren von deutschen Feldzugsteilnehmern und Akten des Reichskolonialamtes – und aktueller geschichtswissenschaftlicher Literatur nebeneinander und betrachtet sie anschließend „unter dem Aspekt Völkermord“ [!].
Wenn Trotha davon sprach, die Herero zu „vernichten“, meinte er – so Zöllner – nicht deren Ausrottung, sondern wollte im militärischen Sinne ihre Widerstandsfähigkeit brechen. [!] Zudem hatte er ursprünglich nicht geplant, die Herero in die Omaheke abzudrängen. So argumentiert Zöllner … und macht damit einmal deutlich, dass Trotha – anders, als zahlreiche Historiker in der Nachfolge von Horst Drechslers klassischer Studie von 1966, „Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus“, angenommen haben – keinesfalls mit einem genozidalen Plan nach Südwestafrika kam.
Ob geplant oder nicht, Völkermord war die Folge des Krieges
Hier stimmt Zöllner mit einer Reihe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen überein, die wie Isabel Hull oder Matthias Häußler in den letzten Jahren argumentiert haben, dass sich eine völkermörderische Politik erst Wochen nach der Schlacht am Waterberg entwickelt habe.
Mit dem Kolonialhistoriker und Genozidforscher Boris Barth nimmt Zöllner ferner an, dass Trothas „Vernichtungsbefehl“ eigentlich die `Vertreibung aus der deutschen Kolonie´ beabsichtigt habe, also „nur“ ein Aufruf zur „ethnischen Säuberung“ war und als Akt „psychologischer Kriegsführung“ zu sehen sei.
Dabei übergeht Zöllner allerdings, dass sich der Gebrauch des Vernichtungsbegriffs bei Trotha bis Oktober 1904 verändert hatte. In dieser Phase sprach Trotha immer wieder davon, dass die „Nation als solche“ vernichtet werden bzw. untergehen müsse, ließ alle Männer erschießen und die Frauen und Kinder in die Wüste zurückjagen. Es ging ihm offensichtlich nicht mehr allein um die Brechung des militärischen Widerstandes.
Auch spricht viel dafür, dass für Trotha die Auswanderung respektive Vertreibung der Herero in die `britische Nachbarkolonie´ keineswegs zur bevorzugten Lösung wurde. In einer Schlüsselpassage schrieb Trotha an seinen Vorgesetzten, Generalstabschef Alfred von Schlieffen, am 4. Oktober 1904: „Ich glaube, daß die Nation als solche vernichtet werden muss, oder, wenn dies durch taktische Schläge nicht möglich war, operativ und durch die weitere Detailbehandlung aus dem Lande gewiesen wird.“
Zöllner sieht in der Präteritumskonstruktion „nicht möglich war“ ein Zeichen, dass Trotha sich von den Vernichtungsplänen verabschiedet hatte und nun auf Vertreibung setzte. Dabei übergeht er, dass die Wenn-Konstruktion nicht zu dieser Tempusform passt und vielmehr nahelegt, dass Vertreibung lediglich der „Notfallplan“ war, sollte sich die Vernichtung in der Zukunft als undurchführbar erweisen. Diese Interpretation passt im Übrigen weit besser zu Trothas Vorstellung, es handle sich bei dem Konflikt mit den Herero um den Beginn eines „Rassenkrieges“ auf Leben und Tod und zu Aussagen Trothas aus den Folgewochen, in denen er ganz offen schrieb, dass er die Herero „geschlossen in die Gegend trieb, wo sie nicht mehr existieren können und zu Grunde gehen“.
Zöllner lehnt die Bewertung des Krieges gegen die Herero als Genozid strikt ab und tritt damit in die Fußstapfen der früheren Leiterin der National Archives of Namibia, Brigitte Lau, und des umstrittenen namibischen Laienhistorikers Hinrich Schneider-Waterberg: Viele Gedanken, die der Autor präsentiert, haben diese beiden bereits seit den späten 1980er Jahren vorgebracht. Nicht zuletzt zweifelt Zöllner mit Laut die meist genannten Zahlen von 60 000 bis 80 000 verstorbenen Herero an und spricht stattdessen von 12 000 bis 23 000 Opfern, um seine These zu unterstützen.
Zöllner geht mit seiner Interpretation dabei deutlich weiter als neuere Studien von Hull, Häußler oder dem Rezensenten. Diese stellen zwar ebenfalls das Narrativ eines genozidalen Prozesses, der mit der Entsendung Trothas begonnen habe und ernst mit der Auflösung der Konzentrationslager mit Kriegsende 1908 beendet worden sei, infrage [!]; sie analysieren – auf einer viel breiteren Quellenbasis als Zöllner – jene Prozesse, die in Deutsch-Südwestafrika 1904 zur Genese einer Vernichtungspolitik führten und auch zu ihrer Beendigung. Die eigentliche genozidale Phase erschein bei ihnen deutlich kürzer [!] als in der klassischen Studie von Drechsler – von Völkermord sprechen aber auch sie. In der Geschichtswissenschaft ist die Völkermordthese tatsächlich weitgehend konsensfähig.
*Jonas Kreienbaum, Der Tagesspiegel, 31.01.2018, Seite 21. [Hervorhebungen und redaktionelle Anmerkungen in eckigen Klammern: Ben Khumalo-Seegelken].
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