Reni Eddo-Lodge: „Leute, die sich Verbündete nennen, interessieren mich nicht“
Weiße sollten nicht bloß fragen, was sie gegen Rassismus tun können – sondern selbst aktiv werden, sagt die britische Aktivistin Reni Eddo-Lodge im Interview mit Clara Hebel*:
Frau Eddo-Lodge, in Ihrem Buch „Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ schreiben Sie: „So viele Weiße denken, dass Rassismus nicht ihr Problem ist. Aber White Privilege ist ein Instrument des Rassismus.“ Was genau meinen Sie damit?
Mir geht es um strukturellen Rassismus als politisches Projekt. Das Anliegen des Buches ist, die Vorstellung zu widerlegen, rassistische Vorfälle kämen aus dem Nichts und seien sporadische, spontane Zwischenfälle. Es geht um strukturellen Rassismus in unseren Bildungseinrichtungen, dem Gesundheitssystem, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, wo immer wieder einige zum Vorteil anderer benachteiligt und ausgegrenzt werden. Mag sein, dass du nicht direkt an Sklaverei oder Kolonialismus beteiligt warst, aber wenn du behauptest, soziale Gerechtigkeit sei dir wichtig, dann sage ich, schaue dir genau an, wie auch du von einem politischen Projekt auf Kosten anderer profitierst.
Sie sagen, Ihr Buch handle von der schwer zu greifenden Seite des Rassismus.
In den politischen Zeiten, in denen wir leben, scheinen Nazis ein Comeback zu feiern. Es gibt weiße Nationalisten hier und Rassisten dort, Menschen, die sagen: „Ich bin Rassist und ich bin stolz darauf.“ In Zeiten wie diesen ist es einfach zu sagen: „Das sind die da drüben und das hat nichts mit uns zu tun.“ Ganz besonders als vermeintlich fortschrittliche Person. Immer wieder bekommen People of Colour, mich selbst inbegriffen, wenn sie einem Weißen von ihren Erfahrungen mit Rassismus berichten, gesagt, das sei alles Einbildung und nur in ihrem Kopf. Unmengen an Beweisen zeigen aber, dass es eben absolut keine Einbildung ist. Struktureller Rassismus und systematische Diskriminierung existieren. Eine Studie zum Beispiel zeigt, dass schwarze Schüler von ihren Lehrern automatisch schlechter benotet werden. Prüft ein Außenstehender, der die Schüler nicht kennt, ihre Arbeiten, bekommen sie bessere Noten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich keiner der Lehrer aus der Studie als Rassist oder Neonazi bezeichnen würde. Und doch existiert diese Diskriminierung in unseren Systemen wie dem der Schule. Das ist eben der subtile, schwer zu greifende Teil des Rassismus.
Wenn dieser Rassismus untergründig immer mitschwingt, liegt die Vermutung nahe, dass er gerade auch politische Veränderungen prägt. Wie ist das in Ihrer Heimat Großbritannien, hat der Rassismus etwa im Brexit-Referendum eine Rolle gespielt?
Wenn man versucht über Rassismus im Zusammenhang mit dem Brexit zu sprechen, werden viele Menschen, die für den Austritt gestimmt haben, sehr ärgerlich. „Ich bin doch nicht rassistisch!“, sagen sie. Sie sehen das Wort Rassismus als eine persönliche Beleidigung und als Verurteilung ihrer Moral. Darum geht es mir nicht. Mir geht es um ein strukturell ungerechtes System. Um politische Macht. Es gibt unzählige Beispiele, wie die Pro-Brexit-Kampagne bestehenden fremdenfeindlichen und rassistischen Stimmungen in Großbritannien Aufwind verliehen hat. Etwa das falsche Bild einer ungehörten Arbeiterklasse, die nur aus Weißen besteht. Diese Darstellung existiert in Großbritannien schon seit einiger Zeit. Ich glaube dieser Darstellung nicht. Der Arbeiterklasse anzugehören bedeute, einer der multikulturellsten Klassen im ganzen Land anzugehören. Mit der Reduzierung auf eine rein weiße Arbeiterklasse wird letztlich der Rassismus der Oberschicht vertuscht.
In Ihrem Buch schreiben Sie, als Aktivistin sei der Feminismus Ihre erste große Liebe gewesen. Welche Erfahrungen haben Sie als schwarze Feministin in Großbritannien gemacht?
An der heutigen Frauenbewegung beteilige ich mich kaum noch. Meiner Meinung nach hat der Feminismus in Großbritannien eine ziemlich konservative Kante. Da wird viel getan, um einen bestimmten Status quo aufrecht zu erhalten. Es gibt viele Frauen, weiße Frauen aus dem Mittelstand zumeist, die sehr damit beschäftigt sind, das System zu ihrem Vorteil zu verändern. Wenn es dann aber darum geht, etwas zum Vorteil anderer zu verändern, sind sie weitaus weniger engagiert.
Dass Sie im Feminismus aktiv wurden, ist nun etwa zehn Jahre her. Gibt es denn keine nennenswerten Entwicklungen, die Frauenrechte mit den Themen der Diversität in Verbindung bringen?
Der Großteil meiner Leserschaft, zumindest die, die an Veranstaltungen teilnehmen und auf mich zukommen, sind Frauen. Manchmal werde ich sogar als so etwas wie eine Influencerin in der Frauenwelt gehandelt. Das sind Hinweise für mich, dass sich die Denkweise ändert. Trotzdem würde es mich auch nicht überraschen, wenn es weiterhin viele weiße Establishment-Feministinnen gibt, die das, was ich zu sagen habe, niemals ernst nehmen würden. Die Leute wie mich immer als unwillkommene Unruhestifter ansehen werden und den Antirassismus als eine überflüssige, ungewollte Unterkategorie der größeren feministischen Sache. Ich habe das Buch geschrieben um ein Umdenken zu bewegen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Feminismus. Mein Standpunkt ist von Haus aus stark vom Feminismus geprägt, sodass klar war, dass es auch ein Thema in meinem Buch sein würde.
Sie sagten eben, es seien überwiegend Frauen, die an Sie herantreten. Glauben Sie der feministische Anklang Ihres Buches interessiert Männer einfach nicht?
Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass mein Schreibstil ganz und gar nicht maskulin ist. Als jemand, die männliche Autoren nicht nur gelesen hat, sondern schon einige Male das Pech hatte, in Diskussionsrunden neben ihnen zu sitzen und zu versuchen irgendwie zu Wort zu kommen, weiß ich doch ganz gut, dass ich nicht in diese Domäne passe. Vielleicht fühlen sich Frauen ganz einfach dadurch angezogen, dass ich eben kein aufgeblasener Mann bin. Was an und für sich meinem Buch schon einen feministischen Unterton gibt. Der Mangel an Männern bei meinen Veranstaltungen ist im Grunde wirklich interessant. Er sagt auch etwas darüber aus, wem Männer geneigt sind zuzuhören, wenn es um soziale Fragen geht. Ich bin mir sicher, da draußen gibt es Männer, die mit vielem, was ich in meinem Buch zu sagen habe, etwas anfangen können. Weil es aber von einer Frau kommt, geht es ganz einfach an ihnen vorbei. Das bedeutet absolut nicht, dass ich etwas dagegen hätte, überwiegend von Frauen gelesen und angenommen zu werden. Der Feminismus hat mich unglaublich stark geprägt, ich arbeite überwiegend mit Frauen zusammen und in meinem Leben waren es auch Frauen, die mir all die Karrierechancen gegeben habe.
Weiße Menschen, die sich ihren verinnerlichten Rassismus abtrainieren wollen, wenden sich oft an People of Colour in ihrer Umgebung, um sie als eine Art Mentoren zu nutzen. Ein Phänomen, das Sie auch in Ihrem Buch erwähnen. Was ist an diesem Verhalten problematisch?
So ein Verhalten kann man nur als Abwehrhaltung bezeichnen. Wenn du es ernst meinst damit eine aktive Rolle im Antirassismus zu übernehmen, warum schiebst du dann deine eigene Verantwortung von dir weg? Wir sind alle mal zur Schule gegangen. Und wenn man eine Aufgabe bekam, war es bestimmt nicht akzeptabel, den Lehrer zu fragen: „Was ist denn jetzt die Antwort? Können Sie mir die nicht einfach sagen?“ Das ist jetzt vielleicht ein etwas alberner Vergleich, aber ich denke einfach, Weiße, die ernsthaft aktiv werden wollen im Kampf gegen Rassismus, müssen ihre eigene Kreativität, ihre eigenen Kompetenzen und ihr eigenes Netzwerk nutzen. Leute, die sich Verbündete nennen, interessieren mich nicht. Mich interessieren Menschen, die sich als Komplizen sehen. Das ist eine wahre Herausforderung für Weiße, für die es ungewöhnlich ist, sich nicht selbst zum Zentrum aller Dinge zu machen. Von jemanden wie mir nicht nur zu erwarten, die Situation zu analysieren, sondern auch gleich noch die Antworten auf durch die Analyse entstehende Fragen mitzuliefern, ist einfach zu viel verlangt. Manche Menschen haben all die Wörter gelesen, die ich geschrieben habe, um dann zu mir zu kommen und zu sagen: „Nun gut, jetzt tu noch mehr!“ Aber mit geht es darum, was sie dann selber tun. Was bringen sie selber auf den Tisch?
Der deutsch-türkische Aktivist Ali Can hat im vergangenen Jahr den Hashtag #MeTwo ins Leben gerufen. Seine Onlinekampagne richtet sich gegen die Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund und fordert das Recht auf mehrere kulturelle Identitäten ein. Welche Erfahrungen haben Sie selbst damit gemacht, Ihren kulturellen Hintergrund in Großbritannien auszuleben?
Um ehrlich zu sein, führt diese Frage auf die falsche Fährte. Ich bin mit meinem Britischen Pass nach Deutschland gereist. Ich wurde in Ostlondon geboren. Nur, weil meine Haut schwarz ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es ein Merkmal dafür ist, dass ich eine tiefe Resonanz zu der Kultur eines anderen Landes verspüre. Ich denke, ich spreche da für viele Einwanderer in zweiter oder dritter Generation.
Wie kann man überhaupt Einwanderer in zweiter oder dritter Generation sein, wenn man im Land geboren wurde? Diese Wörter ergeben zusammen keinen Sinn.
Seit mein Buch herausgekommen ist, gibt es immer wieder Leute, die über mich schreiben und mich als nigerianisch-britisch bezeichnen. Aber ich habe nie in Nigeria gewohnt. Ich habe keinen nigerianischen Pass. Das bedeutet nicht, dass ich Nigeria herabwürdige, ganz bestimmt nicht. Ich verspüre zu Nigeria nur einfach keine kulturelle Resonanz außerhalb der Referenzpunkte, die ich durch meine Familie mitbekommen habe. Das wären Essen und Trinken und unglaublich witzige Nollywood-Filme. Ich bin dankbar zu all dem Zugang zu haben. Aber ich kann nicht sagen eine Kultur außerhalb Großbritanniens wirklich zu kennen. Ich habe mich selbst schon immer als ganz und gar britisch gesehen.
*Clara Hebel, Frankfurter Rundschau, Pfingsten 2019, Seiten 24-25.
Zur Person
Reni Eddo-Lodge ist eine britische Journalistin und Autorin. 1989 wurde sie in Ostlondon geboren. Ihre Texte befassen sich vorwiegend mit strukturellem Rassismus und Feminismus. Als Studentin selbst in der feministischen und anti-rassistischen Bewegung aktiv, hatte es Eddo-Lodge irgendwann satt, mit Weißen über Rassismus zu reden, die dessen Existenz immer wieder infrage stellten.
Auf ihrem Blog veröffentlichte sie einen Artikel mit dem Titel „Why I’m No Longer Talking To White People About Race“. Der Post ging viral. Ihr mehrfach preisgekröntes Buch mit demselben Titel machte sie zu einer Bestseller-Autorin.
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