In den USA häufen sich soziale Ungleichheiten und Schieflagen. Das bedroht den gesellschaftlichen Frieden. Angesichts der jüngsten und andauernden Gewaltausbrüche, die wiederholt tödlich enden, schreibt Andreas Schwarzkopf*:
Die Heckenschützen von Dallas haben nicht nur fünf Polizisten getötet und weitere verletzt. Sie haben die ohnehin in Aufruhr befindliche US-Gesellschaft erneut erschüttert. Dallas reiht sich ein in eine lange Folge tödlicher Gewalt. Wenige Tage zuvor starben in Louisiana und Minnesota zwei Afro-Amerikaner durch Polizeischüsse. Ortsnamen wie Ferguson oder Baltimore standen schon vorher für das brutale und oft tödliche Vorgehen weißer Polizisten gegen Schwarze.
Zu recht wird wieder über strengere US-Waffengesetze diskutiert. Doch selbst wenn sich wider Erwarten Washington endlich für diesen überfälligen Schritt entscheiden würde, würde er allein nicht reichen, um die in den USA grassierende Gewalt einzudämmen. Das verdeutlichen Statistiken wie etwa die „Hasskarte“ (Hatemap) des Southern Poverty Law Centres, auf der 892 Gruppen verzeichnet sind. Über das ganze Land verteilt finden sich Nazis, Anti-Islamisten, Rassisten und Einwanderungs-Gegner. Ihre Zahl hat sich demnach seit 1999 bis heute nahezu verdoppelt.
Sind hier vor allem hasserfüllte Internetseiten oder Demonstrationen verzeichnet, haben die beiden CNN-Journalistinnen Julia Jones und Eve Bower die Zahl der US-Opfer von Schusswaffen und von Terroranschlägen seit 2001 addiert und das Resultat im Oktober vorgestellt. Demnach summierte sich in 13 Jahren die Zahl der Opfer auf 406 496. All diese Taten ereigneten sich auf US-amerikanischem Boden. Ursachen sind Kriminalität, Mord und Totschlag, aber auch Unfälle und Suizide. Nach Angaben der UN erreichen die USA mit jährlich 30 Morden durch Schusswaffen auf eine Million Einwohner den höchsten Wert unter allen `entwickelten´ Staaten.
Demgegenüber wurden im selben Zeitraum nach Angaben von Jones und Bower 3380 US-Amerikaner Opfer von Anschlägen. 350 von ihnen wurden laut des US-Außenministeriums im Ausland getötet. In den USA waren es 3030. Die Zahl ist so hoch, weil auch die verheerenden Anschläge vom 11. September 2001 berücksichtigt sind. Danach sank die Zahl deutlich.
Die Ursachen dieser Gewalt müssen analysiert und die richtigen Schlüsse gezogen werden. Das ist aber nicht einfach, wie das Beispiel des Terrorismus in den USA (homegrown terrorism) verdeutlicht. Nach den Attentaten auf das World Trade Center gab es weitere Anschläge wie auf den Marathon in Boston oder jüngst in Orlando. Die Täter waren US-Bürger.
Sie beriefen sich zwar auf Terrorgruppen wie den „Islamischen Staat“, wie der Attentäter von Orlando. Doch sie handelten, anders als die Attentäter von 9/11, nicht im Auftrag einer Organisation wie Al Kaida. Das erschwert es der Polizei und dem FBI, die Taten der Einzelkämpfer (lone wolfs) zu verhindern.
Das hindert Politiker wie den republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump nicht daran, mit offensichtlich falschen Parolen die Stimmung aufzuheizen. Trump will als US-Präsident Muslime nicht mehr einreisen lassen, um das Land `sicherer´ zu machen. Dieser anti-islamische Vorschlag verhindert aber den heimischen Terrorismus nicht, er gibt ihm möglicherweise neue Nahrung.
Doch auch die Aussagen der demokratischen Mitbewerberin Hillary Clinton überzeugen nicht vollständig. Nach dem Anschlag in Orlando plädierte sie für ein schärferes Waffengesetz. Das würde potenziellen Tätern den Zugang etwa zu Gewehren sicher erschweren. Die Motive für die Taten bleiben unberücksichtigt. Politiker und Politikerinnen wie Clinton dürfen es sich aber nicht so einfach machen wie das FBI, das die Motive kaum noch analysiert. Die Beamten schauen sich an, wie Täter vorgehen, um sie aufzuhalten.
Für viele Experten gehören sozio-ökonomische Veränderungen ebenfalls zu den Ursachen von Gewalt. So sinken die durchschnittlichen Einkommen in den USA seit Jahren, während andere Kosten wie etwa die Studiengebühren steigen. Sie liegen inzwischen im Schnitt über einem Jahresgehalt. Einer der wesentlichen Gründe für Privatinsolvenzen sind die hohen Gebühren für Ärzte oder Krankenhausaufenthalte. All das zusammen bedroht einen Glaubenssatz der US-Gesellschaft, wonach jeder/jede in Auskommen hat, der sich anstrengt.
In der Folge wächst bei vielen die Unzufriedenheit, die wiederum die Politikinhalte verändert. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums sind nationalistische Töne wie sie Trump pflegt en vogue, auf der linken Seite werden Sozialreformen gefordert. Einige Vorschläge hat Hillary Clinton teilweise von ihrem demokratischen Konkurrenten Bernie Sanders übernommen.
Es steht jetzt schon fest, dass sich die US-Politik ändern wird, egal wer im Januar ins Weiße Haus einziehen wird. Beide Kandidaten werden sich verstärkt um die Probleme und Wünsche ihrer Wählerinnen und Wähler kümmern müssen.
*Andreas Schwarzkopf, Leitartikel | Thema des Tages, Frankfurter Rundschau, 09./10.07.2016, 3.
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