Peter H. Katjavivi: „Zurückschauen, um nach vorne zu blicken“

Die namibische Kulturministerin Katrina Hanse-Himarwa und Michelle Müntefering, Staatsministerin für Kulturpolitik, bei der Übergabezeremonie sterblicher Überreste von Opfern der deutschen Kolonialherrschaft, August 2018.

„Zurückschauen, um nach vorne zu blicken“

WINDHOEK | BERLIN, 14.11.2018: Interview mit Peter H. Katjavivi* über den deutsch-namibischen Versöhnungsprozess 100 Jahre nach Ende der Kolonialherrschaft. [Die Fragen stellte Joanna Itzek; aus dem Englischen von Anne Emmert. Quelle: ipg-journal]

? Sie haben den Versöhnungsprozess zwischen Deutschland und Namibia bereits viele Jahre begleitet. Wo stehen wir heute im Vergleich zu 2008, als Sie Botschafter Namibias in Berlin waren?

Seit meiner Zeit als Botschafter haben wir viel erreicht. Vor zehn Jahren reagierte der deutsche Staat gar nicht auf die Forderung Namibias nach einer Anerkennung der Gräueltaten von 1904 bis 1908. Damals leugnete Deutschland noch alles. Heute gibt es sowohl in der Regierung als auch im Parlament Bestrebungen, die Ereignisse von 1904 bis 1908 als Völkermord anzuerkennen.

Peter H. Katjavivi

Seit 2015 sind unsere Regierungen ernsthaft um eine Diskussion bemüht, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Nichts fängt schon perfekt an, damit etwas perfekt wird, braucht es Zeit, sagte einst der frühere Präsident von Tansania, Mwalimu Julius K. Nyerere.

?  Was muss passieren, um den Prozess zu einem guten Abschluss zu bringen? Kann man so eine Versöhnung überhaupt je abschließen?

Die beiden Regierungen bemühen sich um eine gangbare Lösung, die allen Beteiligten gerecht wird. An der Spitze dieses Prozesses müssen die Regierungen beider Länder stehen, aber natürlich sind auch zum Beispiel die betroffenen Volksgruppen zu beteiligen, ihre Auffassungen müssen im Prozess berücksichtigt werden. Ein erfolgreiches Ergebnis in der Aussöhnung über den Völkermord 1904 bis 1908 wird gewiss auch die Versöhnung zwischen den Gruppen innerhalb Namibias befördern, insbesondere zwischen deutschsprachigen Namibiern und allen anderen Landsleuten.

Wie man weiß, wirkte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1951 entschlossen auf eine Aussöhnung zwischen Deutschen und Juden nach dem Holocaust hin, und das ebnete der Versöhnung zwischen Deutschland und Israel den Weg. Ähnlichen Mut legte Kanzler Willy Brandt mit seinem Kniefall vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos an den Tag. Diese Schritte haben maßgeblich zu einer Harmonisierung der Beziehungen zwischen Deutschland und seinen früheren Gegnern beigetragen. Ich hoffe, dass sich die deutschen Spitzenpolitiker heute ein Beispiel an ihren Vorgängern nehmen. Wie sagt man so schön: Je weiter man zurückschaut, desto weiter kann man nach vorne blicken!

?  Vertreter der Herero und Nama kritisieren die offiziellen Regierungsgespräche, weil sie ihre Interessen dabei nicht genügend berücksichtigt sehen. Sie gehören zu den Herero. Wie sehen Sie das?

Mir ist bekannt, dass bestimmte Gruppen innerhalb der Herero und Nama die aktuellen Verhandlungen sehr skeptisch sehen. Viele meinen, dass sie ausgeschlossen werden. Oft heißt es auch, wir seien schließlich die unmittelbaren Opfer des Völkermords. Der Vernichtungsbefehl zielte spezifisch auf die Herero und Nama.

Aber der namibische Präsident Dr. Hage Geingob betont ja auch immer wieder, wie wichtig es sei, alle in die Verhandlungen einzubeziehen.

?  Was heißt das konkret?

Tatsächlich kamen bei der letzten Rückführung menschlicher Gebeine nach Namibia traditionelle Stammesvertreter der Herero und Nama mit der Regierungsdelegation nach Berlin, um die Schädel in Empfang zu nehmen. Sie wohnten den Feierlichkeiten in Berlin und Windhoek bei. Das war ein wichtiger Schritt für die Einbeziehung aller Beteiligten. Wir wollen sicherstellen, dass die Tür zum Verhandlungsprozess allen offensteht, die von den Ereignissen 1904 bis 1908 betroffen waren. Ein erfolgreiches Ergebnis der Verhandlungen zwischen unseren beiden Regierungen ist auch für unsere eigene Aussöhnung sehr wichtig, für Frieden und ein gutes Zusammenleben in Namibia. Daher sollte jeder vernünftige Namibier einsehen, dass alle betroffenen Gruppen einander in dieser Angelegenheit die Hand reichen müssen.

?  Sind die Verhandlungen aus Ihrer Sicht ausreichend transparent?

Verhandlungen folgen einer bestimmten Geisteshaltung und festen Verfahren, besonders bei einem heiklen Thema wie diesem. Man verhandelt nicht über die Medien. Diese Verhandlungen berühren Politik, Diplomatie und sehr emotional besetzte Themen. Deshalb müssen sie taktvoll und kompetent geführt werden und Vertrauen schaffen in beiden Regierungen, bei den Bürgern beider Länder und bei den internationalen Beobachtern.

Willy Brandt sagte einmal, Auslandsbeziehungen seien zu wichtig, als dass man sie Regierungen allein überlassen dürfe.

?  Kann in dem Versöhnungsprozess ein People-to-People-Ansatz funktionieren?

Insgesamt haben Namibia und Deutschland hervorragende und freundschaftliche Beziehungen. Aber diese Beziehungen müssen auf allen Gesellschaftsebenen gepflegt werden, also von Regierung zu Regierung, von Parlament zu Parlament, von Wirtschaft zu Wirtschaft, von Zivilgesellschaft zu Zivilgesellschaft und auch von Volk zu Volk.

Ich will auch die historischen Beziehungen zwischen unseren religiösen Institutionen hervorheben. Die Kirchen in Berlin und Windhoek spielten eine wichtige Rolle bei der jüngsten Überführung menschlicher Gebeine, und sie sollten auch weiterhin an der Versöhnung beteiligt sein.

Wir als Parlament der Republik Namibia haben ein ureigenes Interesse daran, dass der Antrag unserer Nationalversammlung, der den Verhandlungsprozess erst in Gang brachte, auch erfolgreich umgesetzt wird. Beide Parlamente sind an diesem Prozess aktiv beteiligt, und das sollten wir weiter so halten. Das wird den Verhandlungen zwischen den Regierungen zusätzlich Gewicht geben.

*Professor Peter H. Katjavivi ist Parlamentspräsident der namibischen Nationalversammlung. Er war namibischer Botschafter bei der Europäischen Union sowie Botschafter in Berlin. 2016 wurde er zum „Chancellor“ der Namibian University for Science and Technology gewählt. [Quelle: ipg-journal]

siehe auch >> Henning Melber: „Für eine neue Solidarität“

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