Das Signal von Kreuzberg

Der Weg zurück - zum langen Weg in die FreiheitKwelaseMzinyathi ngaseDandi

Menschen auf der Suche nach Schutz und Zukunft, Flüchtlinge, in Berlin sind dem Westen aufs Dach gestiegen. Ihre Botschaft: Wir brauchen ein besseres Asylrecht.

In Berlin standen tagelang zornige afrikanische Männer auf einem Kreuzberger Dach und forderten Bleiberecht für sich und alle Flüchtlinge. Medien sprachen von Rechtsbeugung oder Anmaßung. Andere von Solidarität oder Gnade. Aber es geht um viel mehr.

Es war ein stürmisches Jahrzehnt, als in den 90er Jahren das deutsche Asylrecht eingeschränkt wurde. Die Welt veränderte sich dramatisch: Der Ostblock brach in sich zusammen, die Mauer war gefallen, die Sowjetunion kollabierte, Jugoslawien versank in Kriegen. Es gab noch Grenzkontrollen überall, keinen Euro, keine Handys, und das Internet galt als Hobby von Spinnern. Bis auf wenige Ausnahmen regierten in den sogenannten Entwicklungsländern Despoten und sorgten mit den Ressourcen ihrer Länder für den Wohlstand des Westens – ungestört und abgeschieden.

Damals war im reichen, weißen Westen eine Haltung weit verbreitet, die das Teilen mit dem armen, schwarzen (oder sonst wie gefärbten) Süden diskutierte. Man wollte „denen“ was abgeben. Und so funktionierte auch die Entwicklungshilfe: Hier was bauen in Afrika, ein bisschen Bildung oder ein paar Tipps, wie man nach Wasser gräbt. Das Abgeben sollte ein Gnadenakt bleiben, eine freiwillige Selbstbeschränkung als Ausgleich für die Ausbeutung über Jahrhunderte, doch nur in dem Maße, wie es für die ethischen und ökologischen und ökonomischen Absichten geboten schien. Das deutsche Asylrecht mit seinem bedingungslosen Verfassungsstatus passte nicht hinein in diese hochmütige Haltung, denn es wurde von „denen“ in Anspruch genommen. Massenhaft, unkontrolliert, einfach so.

Die Welt hat sich verändert: Die Globalisierung, die digitale Revolution, die Beweglichkeit von Personen, Geld und Gütern brachten es zustande, dass mehr als eine Milliarde Menschenaus dieser „Dritten Welt“ in die Mittelschicht aufgestiegen sind. Die rasante industrielle Entwicklung hat die Welt mehr verändert, als es sich diejenigen vorstellen können, die heute noch vom Teilen träumen. Die von systemkritischen Wohlstandsweißen dämonisierte Globalisierung ermöglicht es ihnen ja auch, weiter gut zu leben. Vor allem aber brachte sie „denen“ mehr Lebensqualität, Bildung und Gesundheit. Aber auch die Kehrseiten davon: Umweltschäden, Kriege und Konflikte, Gründe für Millionen, dem zu entfliehen.

Das deutsche Grundrecht auf Asyl war Folge von Nationalsozialismus und Krieg. Es mochte nicht in die Krisen der 90er Jahre gepasst haben, seine Einschränkung aber war falsch und kurzsichtig. In der globalisierten Welt müssen die Regeln des Asylrechts nun neu ausgehandelt werden, und die Flüchtlinge wollen und sollen dabei mitreden. Sie sind längst keine stumme Verschiebemasse mehr, sie sind dem Westen aufs Dach gestiegen.

Wer es als ein Gebot von Moral betrachtet, das alte Asylrecht wiederherzustellen, sollte dabei auf weißen Hochmut verzichten, denn es geht nicht nur um die Moral – die der Weißen und Reichen. Besser wäre es, zu verstehen, dass Flucht und Migration politische Gestaltung brachen, die global wirken muss und die Menschenrecht für alle als Grundbedingung der Zukunft beschreibt. Die Männer in Kreuzberg mögen das Dach verlassen haben, die Diskussion um das Asylrecht fängt gerade erst an.

Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, 7. Juli 2014.

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