Namibia: Wasserstoff – Neokoloniale Ausplünderung oder sinnvolles Projekt?
Zur Debatte um die Produktion von grünem Wasserstoff in Namibia
In der letzten Ausgabe von afrika süd (Nr. 4, 2024) wurden zwei Artikel (H. Joost, Wasserstoff aus der Wüste; B. Mabanza, Einwicklung oder Befreiung? Namibia und der grüne Wasserstoff) zur geplanten Produktion von grünem Wasserstoff in Namibia veröffentlicht.
Als langjähriger aufmerksamer Leser der Zeitschrift hat Dietrich Weinbrenner, von 1991 bis 1994 Pfarrer in der Evangelical Lutheran Church in Namibia (ELCRN), die beiden Artikel an den Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, weitergeleitet und seine Sorge ausgedrückt, „dass durch dieses Projekt die neokoloniale Ausplünderung des globalen Südens fortgesetzt wird – in Namibia besonders brisant wegen unserer Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Genozid an Herero und Nama. Eine solche Politik wäre mit dem Selbstverständnis der Grünen aus meiner Sicht unvereinbar. Wie wollen Sie eine solche Entwicklung verhindern? Was entgegnen Sie auf die hier gestellten Fragen und Bedenken.“ (D. Weinbrenner, 15.9.24)
Die Antwort aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, gezeichnet vom „Team Bürgerdialog“, erfolgte am 20.9.24:
Zum Thema Wasserstoff aus Namibia
Die Initiative für dieses Projekt ging von Namibia aus. Der Standort ist ausschließlich von der namibischen Regierung ausgewählt worden, weil er im internationalen Vergleich herausragende Wind- und Sonnenverhältnisse hat. Namibia will diesen Vorteil nutzen, um das Land aus der Armut zu befreien.
Im Jahr 2001 hat die namibische Regierung eine öffentliche Ausschreibung für den Standort durchgeführt, an der sich mehrere international tätige Unternehmen beteiligt haben.
Die Bundesregierung begrüßt, dass das Unternehmen Hyphen, an dem die deutsche ENERTRAG beteiligt ist, von der namibischen Regierung ausgewählt wurde.
Das sogenannte Sperrgebiet war 100 Jahre lang ein Bergbaugebiet und ist es teilweise auch heute noch. Für große Teile des Gebietes existieren weiterhin Bergbaulizenzen. Vor einigen Jahren wurde es zum Nationalpark erklärt, in dem nach namibischen Recht im begrenzten Umfang wirtschaftliche Aktivitäten zulässig sind – insbesondere die Nutzung von erneuerbaren Energien.
Vor einer Genehmigung des Hyphen-Projekts muss eine sorgfältige Standortanalyse durchgeführt werden, damit insbesondere seltene Pflanzenarten nicht gefährdet werden. Die Umweltverträglichkeitsprüfung findet nach den besonders anspruchsvollen Standards der Weltbank statt. Solange diese Untersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann es keine endgültige Aussage geben.
Der Sonderbeauftragte des Bundesministeriums für die deutsch-namibische Klima- und Energiekooperation und ehemalige Staatssekretär Rainer Barke (https://www.stiftung-klima.de/de/ueber-die-stiftung-und-ihre-partner/geschaeftsfuehrung/) hat sich bereits im Juli 2022 mit Chris Brown, dem Geschäftsführer der Namibian Chamber of Environment (NCE) in Windhoek getroffen, um dessen Einschätzung zu der Ausschreibung der namibischen Regierung kennen zu lernen. Die Kritik von NCE wird nach unserer Einschätzung weder von der namibischen Regierung noch von den Oppositionsparteien im namibischen Parlament geteilt. Sie wird auch nicht geteilt von Umweltorganisationen, die vor Ort tätig sind.
BMWK, 20.9.2924
Die Redaktion von afrika süd hat Bertchen Kohrs, Vorsitzende der NRO Earthlife Namibia, um eine Stellungnahme zu der Antwort des BMWK gebeten. Sie hatte in afrika süd Nr. 1, 2023, in ihrem Artikel „Überzogene Erwartungen“ auch die Bedenken aus Umweltkreisen erörtert.
„Nicht in Größenwahnsinn verfallen“
Gedanken zum Hyphen-Projekt von Bertchen Kohrs
Um es vorwegzunehmen, generell halte ich die Gewinnung von grünem Wasserstoff (GH2) für machbar und nachhaltig, vorausgesetzt es wird richtig gehandhabt. Bisher gibt es in der Produktion von GH2 noch keine kommerziellen Erfahrungen. Darum halte ich es für verfrüht und blauäugig, gleich in so großem Umfang in die Industrie einzusteigen. Das Cleanergy Projekt im Erongo sollte erst mal als Pilotprojekt dienen, um aus dort gemachten Fehlern Lehren ziehen zu können. Aber Namibia hat sich vorgenommen, als GH2-Hub die ganze Welt zu versorgen – der Traum unseres verstorbenen Präsidenten (Hage Geingob; d. Red.). Ich denke auch, dass versiertere Verhandlungspartner unsere noch unerfahrenen Politiker und Entscheidungsträger mühelos über den Tisch ziehen, wie es u. a. bei der Textilfirma Ramatex passierte.
Ich bin nicht gegen industrielle Entwicklung in Namibia, solange sie keine zu großen Opfer von der Umwelt und den Menschen verlangt und dem Land nicht seine einzigartige Natur nimmt. Wir müssen uns unabhängiger machen, indem wir unsere Verbrauchsgüter im Land herstellen, soweit die gegebenen Umstände es erlauben. Aber wir müssen deswegen nicht in Größenwahnsinn verfallen. Erneuerbares GH2, fossiles Öl und Gas, ReconAfrica, AKW, Baynes, Stampriet, alles auf einmal. Da sträuben sich mir die Haare.
In meiner Wahrnehmung hat das Thema Genozid in Bezug auf das Hyphen-GH2-Projekt durch die Nama erst ziemlich spät und zögernd an Bedeutung gewonnen, was gut nachvollziehbar ist. Wir alle, je nach Interessengruppe, mussten uns mit dem absolut neuen Thema GH2 erst vertraut machen, das uns so brutal und undemokratisch vor den Latz geknallt wurde. Namibias Entschluss für das GH2-Projekt und die Mitteilung wenige Tage später, dass die Wahl auf Hyphen gefallen ist, deutet auf einen langen Vorbereitungsprozess hin, der uns jegliches Mitspracherecht entzogen hat. Diese Überrumpelung hat bei vielen Menschen zunächst Verblüffung und Ablehnung hervorgerufen.
Die Antwort des BMWK auf den Brief von Herrn Weinbrenner ist zwar zuckersüß, trifft aber nicht die Meinung aller Umweltschützer:innen, der Nama und anderer Skeptiker:innen. Der letzte Satz vom BMWK ist nicht gut recherchiert. Klar, das Parlament will die Meinung der NCE (Namibian Chamber of Environment) nicht hören. Umweltorganisationen und viele andere Personen finden das Positionspaper gut, so auch wir von Earthlife. Außer der unverantwortlichen und von einem Umweltmenschen nicht zu fassenden Bemerkung, als Alternative ein AKW in Namibia zu bauen. Da redet NCE-Geschäftsführer Chris Brown den neuerdings häufiger genannten Plänen der Regierung, besonders durch Bergbauminister Tom Alwendo, nach dem Mund. Meiner Meinung nach hält sich Chris Brown alle Politiktüren offen.
Die öffentliche Kritik an dem Hyphen-Projekt nimmt in letzter Zeit mit gut fundierten Argumenten immer mehr zu. Unter anderem wird der Mangel an Transparenz scharf verurteilt. Ich habe den Eindruck, dass viele Namibier:innen ihr Vertrauen in unsere Regierung verlieren oder schon verloren haben, was sich so kurz vor den Wahlen sicher als starker Faktor gegen die Swapo-Partei entwickeln kann.
Die Swapo betont, dass das Projekt während ihrer Regierungszeit initiiert wurde, dem Land erhebliche Vorteile bringen und allen Namibiern zugutekommen wird. Laut Swapo wird GH2 die Energielandschaft Namibias verändern und zahlreiche Arbeitsplätze schaffen. Im Wahlprogramm war die Rede von Namibia als führendem Land in der Energieproduktion des Kontinents und einer Schlüsselrolle in der Produktion von grünem Wasserstoff. Im Wahlkampf wurde grüner Wasserstoff mit der Schaffung zehntausender Arbeitsplätze gleichgesetzt. Die Versprechungen grenzten an die Utopie eines GH2-Paradieses.
Wurde die Frage, wie Namibia die natürlichen Ressourcen Sonne und Wind am besten nutzen kann, um tatsächlich alle Namibier am Gewinn teilhaben zu lassen, ausreichend diskutiert? Wäre es nicht ratsamer, GH2 in Namibia einen Mehrwert zu geben, statt es für den Export zu produzieren? Der lange Transport von grünem Wasserstoff und Ammoniak ist höchst problematisch und birgt schon eine Gefahr in sich. Eine naheliegende Option wäre, energieintensive Industrien in Namibia anzusiedeln.
Immer wieder gestellte Fragen sind Korruption, Finanzierung, gut ausgebildetes Personal, die Stadt Lüderitz als Hub und Beherbergung für die vielen Arbeiterfamilien. Öl- und Gas-Exploration und sich entwickelnde Industrien erfordern weiteren Wohn- und Lebensraum. Es bestehen berechtigte Zweifel, dass die namibische Bevölkerung Nutznießer sein wird. Hat es das schon mal auf dem afrikanischen Kontinent gegeben, dass es der Bevölkerung besser geht, wenn Ressourcen ausgebeutet werden? Es passiert doch wohl eher das Gegenteil.
Das Umweltthema ist erst durch Wissenschaftler und Umweltaktivisten auf den Tisch gekommen. Earthlife hat schon in einem ganz frühen Stadium darauf hingewiesen. Auf der ersten Präsentation des Hyphen-Projekts, die eineinhalb Stunden dauerte, fiel das Wort Umweltschutz kein einziges Mal. Es hat gedauert, bis die Wichtigkeit erkannt wurde und nun mit aufgenommen wird. Ich hoffe, ich täusche mich nicht, wenn ich sage, dass Hyphen das Thema begriffen hat und guten Willens ist, den Schutz der Biodiversität so weit wie möglich in Acht zu nehmen. Sie haben einen Teil der geplanten Gebrauchsflächen schon weiter nördlich verschoben, wo es weniger Schaden anrichten wird.
Allerdings ist die Bauphase bekanntlich die Zeit der größten Umweltzerstörung. Ich schüttle immer wieder meinen Kopf, wenn ich den unendlich demokratischen und zeitaufwendigen Prozess zur Erlangung des Zutritts zum Tsau//Khaeb-(Sperrgebiet)-Nationalpark (TKP) in Relation zur Vorstellung setze, wie das zurzeit so scheinheilig geschützte Gebiet innerhalb eines einzigen Tages durch Bulldozer und andere Monstermaschinen, die den Park wild durchpflügen werden, zerstört wird. Wer glaubt daran, dass man die einzigartigen Sukkulenten schützen wird, die man zurzeit ohnehin kaum sehen kann, weil sie während der anhaltenden Dürre unter der Erde ums Überleben kämpfen? Wissenschaftler:innen sind seit langem damit beschäftigt, eine Vegetationsaufnahme im TKP zu machen. Der südliche Teil des Nationalparks ist ebenfalls für industrielle Entwicklung vorgesehen. Dort befindet sich einer der 25 weltweit erklärten biologischen Hot Spots, der dann in einen riesigen Industriepark umgewandelt wird.
Das Meeresleben ist in Gefahr durch die Entsalzungsanlagen. Es ist vorauszusehen, dass in Zukunft eine Kette von Entsalzungsanlagen entlang der Küste gebaut werden, die die Meeresbiologie stark gefährden werden. Der große Energieverlust wird meiner Meinung nach gar nicht beachtet, vielleicht nach dem Motto, was soll’s, Sonne und Wind haben wir doch im Überfluss. Man fragt sich, warum diese geschenkten Ressourcen nicht schon lange dazu genutzt wurden, dezentralisiert erneuerbare Energie im ganzen Land zu verteilen und allen Menschen bessere Lebensbedingungen zu ermöglichen.
Die Frage, wer von dem Projekt profitiert, was Namibia im Endeffekt davon hat, taucht bei jeder Diskussion auf. Viele der dringenden Fragen werden in den beiden Papers gestellt. Eine gut recherchierte Umweltverträglichkeitsstudie sollte all diese Fragen beantworten müssen. Damit wurde noch nicht einmal begonnen, sie soll zweieinhalb Jahre dauern. 2028 soll dann der erste grüne Wasserstoff produziert werden. Reine Utopie.
Ich kann nicht wirklich sagen, ob ich mir das Hyphen Projekt für Namibia wünsche oder nicht. Ich habe meine Zweifel, dass Namibia das stemmen kann. Können wir uns auf die Investoren verlassen, wenn es daneben geht? Auf dem Schlamassel werden wir sitzen bleiben.
Sonne und Energie nutzen:
Namibias Präsident Nangolo Mbumba zum Hyphen-ProjektDeutsche Welle: Eine der Antworten auf den Klimawandel ist die Entwicklung von Projekten für grünen Wasserstoff, wie das Hyphen-Projekt, das Sie zusammen mit Deutschland in Namibia entwickeln. Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, das Projekt schaffe neue Probleme, auch Umweltprobleme?
Mbumba: Wir müssen die Welt dekarbonisieren. Und wie? Indem wir die verfügbaren Energien aus Sonne und Wind nutzen. Wir haben den höchsten Anteil an Sonneneinstrahlung, weil wir ein Wüstenland sind. Wir haben Wasser, wir haben Häfen und Unternehmen. Ich habe mit dem deutschen Bundeskanzler gesprochen, der sagt, sein Land habe sich verpflichtet, eine Kombination aus Grünem Wasserstoff oder Ammoniak von uns zu kaufen.
Wir haben uns zu diesem Programm verpflichtet. Zum ersten Mal gehen unsere Ingenieure, Architekten und Techniker nach Deutschland an die Universitäten, um zu lernen, wie man diese Technologien einsetzt. Darauf sind wir stolz.
Wir sind vielen anderen Ländern voraus. Wir arbeiten nicht nur mit Deutschland, sondern mit allen zusammen, die Interesse haben. Dazu gehören Südafrika und andere afrikanischen Staaten. Auch der belgische König kam deshalb schon nach Namibia, ich wurde zum niederländischen König eingeladen, hauptsächlich wegen des Hyphen-Projekts. Wenn wir über nachhaltige Entwicklung sprechen: Wir wollen, dass der Süden und der Norden zusammenarbeiten. [Auszug aus einem Interview der Deutschen Welle mit dem namibischen Präsidenten bei der Hamburger Nachhaltigkeitskonferenz. DW, 10.10.2024]
Quelle: afrika süd 5-6/2024
Moin, Ben,
wer könnte das Thema im Rahmen einer Veranstaltung bedienen ?
Es grüßt
Ulrich Hartig
Lieber Ben,
Danke Dir für die Informationen. Und ich wünsche Dir / Euch nochmals alles Gute zum Neuen Jahr, v.a. gute Gesundheit.
Derzeit bin ich noch in meiner zweiten Heimat Uganda, komme nächste Woche zurück nach OL.
Das Wasserstoff-Projekt in Namibia habe ich von Anfang an kritisch gesehen, habe mir so meine Gedanken gemacht ohne die jetzt vorliegenden Informationen und Kommentare zu kennen. Es gibt ja mit Senegal ein ähnliches Projekt, dass Scholz bei einem Besuch angestoßen hat. Es ist nahezu „tragisch“, dass nicht wenige Afrikanische Staatschefs ignorieren, dass die Europäer zunächst vor allem die Interessen ihrer Länder verfolgen. Und dann träumt der Präsident von Namibia auch noch davon Ganz-Afrika mit Wasserstoff zu versorgen.
Ich werde das DOK an ein paar Freunde in Bremen schicken, dort gibt es ja eine aktive Namibia-Initiative.
Herzliche Grüße
Hilmar
Moin, Ulrich,
Dietrich Weinbrenner am Besten!
eMail-Adresse kann ich dir mitteilen, solltest du mit ihm Kontakt aufnehmen wollen.
Grüße!
Ben