Yes, he can !

„US-Präsident Obama nutzt das Ende seiner Amtszeit nicht, um schon mal Memoiren zu schreiben. Er bringt stattdessen wichtige politische Projekte wie den Klimaschutz voran. Gut so meint Holger Schmale* in einem Beitrag in einer überregionalen Tageszeitung, den wir im Folgenden zur Diskussion stellen:

Hello again, Barack Obama! Schön, dass Sie wieder da sind. Gewiss, der Präsident der Vereinigten Staaten regiert das Land seit sechs Jahren. Aber erst jetzt zeigt sich wieder jener Barack Obama, der 2008 auf einer Woge der Begeisterung und Hoffnung in den USA und in vielen Ländern der Welt in das Weiße Haus gewählt worden ist. Der aber mit einem solchen Übermaß an Erwartungen befrachtet wurde, dass er angesichts des von George W. Busch hinterlassenen Erbes – zweier desaströser Kriege, einer schwelenden Finanzkrise, eines desolaten Sozialsystems, einer tief gespaltenen Gesellschaft – vom erhofften Messias sehr schnell zu einem mit dem Alltag ringenden Normalpolitiker schrumpfte.

Diese Phase hat Barack Obama überwunden. Er hat jetzt nichts mehr zu verlieren – zum Beispiel einen weiteren Wahlkampf. Er muss keine Rücksicht mehr nehmen auf die ignorante Blockade-Mehrheit der Republikaner im Kongress und mit ihnen um demütigende Kompromisse ringen. Er kann nur noch gewinnen, und das hat er offenbar vor.

Anders als andere Präsidenten in der letzten Phase ihrer Amtszeit beugt er sich nicht über seine Memoiren, sondern greift noch einmal kraftvoll in das politische Geschehen ein. Plötzlich haben seine alten Parolen wieder einen neuen Klang: Yes, we can und Change we can believe in – Ja, wir können es schaffen, wir glauben an den Wandel. Obama wird von seinen ehrgeizigen klimapolitischen Zielen, dem Umbau der US-amerikanischen Energiewirtschaft, nicht mehr viel selber durchsetzen können. Doch er platziert das Thema auf der politischen Agenda, auch der des Wahlkampfes im kommenden Jahr. Er beginnt gegen schärfsten politischen Widerstand mit dem Kurswechsel, den ein republikanischer Nachfolger erst wieder revidieren müsste, gegen den gesunden Menschenverstand und eine widersprechenden internationale Öffentlichkeit. Einem demokratischen Nachfolger aber ebnet er den Weg, diesen Kurs fortzusetzen.

Sechs Jahre haben nicht gereicht, das Land wirklich zu verändern. Wer hätte das auch ernsthaft glauben können?

Gleiches gilt für die Sozialpolitik, die Einwanderungspolitik, die `Rassen´-politik. Die Themen sind gesetzt, die Ziele bestimmt. Sechs Jahre haben nichtgereicht, das Land wirklich zu verändern; wer hätte das auch ernsthaft glauben können. Die USA sind politisch tiefer gespalten denn je, die politische Kultur ist angesichts solcher Kandidaten wie Donald Trump in einem erbärmlichen Zustand. Und doch hat sich die gesellschaftliche Debatte verändert, es gibt Fortschritte, wie zuletzt der Kampf um die Südstaatenflagge gezeigt hat. Dieses über hundert Jahre alte Symbol der Rassisten ist kein unantastbares Heiligtum mehr, seine schändliche Rolle ist entlarvt.

Auch das ist ein Verdienst Barack Obamas, der nach dem Massaker eines weißen Rechtsextremisten n neun schwarzen Kirchgängern in Charleston in einer bewegenden wie mitreißenden Rede den Rassismus so klar wie nie zuvor als ein Krebsgeschwür der US-amerikanischen Gesellschaft verdammt hat. Das waren Worte, auf die vor allem seine schwarzen Wähler so lange vergeblich gehofft hatten. Auch hier zeigte sich Obama befreit von Ängsten und taktischen Zwängen, nicht als ein Präsident der Schwarzen, sondern aller US-Bürger wahrgenommen zu werden.

Dabei waren seine Worte die eines jeden aufrechten demokratisch und human gesonnenen Bürgers und wurden auch so verstanden. Die Bilder des gemeinsam mit den Trauernden Amazing Grace“ singenden Präsidenten werden für immer Teil seiner Geschichte, seines Vermächtnisses bleiben. Es sind Bilder eines politischen Führers, der seine Verantwortung nicht nur in der Tagespolitik und dem Wohlergehen seiner Partei sieht, sondern der in der Lage ist, einer zutiefst verletzten Gesellschaft Trost und Hoffnung zu vermitteln.

Präsident des fragwürdigen TIPP-Abkommens, der spionierenden NSA, des Dohnenkriegs

Es sind aber auch Bilder, die über die USA hinaus wirken. Sie helfen, ihr weltweites Ansehen zu korrigieren. Gewiss, dies ist weiter der Präsident des fragwürdigen TIPP-Abkommens, der grenzenlos spionierenden NSA, des Dohnenkriegs. Niemand kann erwarten, dass der Präsident der kapitalistischen Weltmacht USA zu einem pazifistischen Sozialromantiker mutiert. In Barack Obama ist aber auch ein Führer zu erkennen, der die letzten Monate seiner Amtszeit dazu nutzt, internationale Verantwortung zu zeigen, die seinem Vorgänger vollkommen fremd war.

Das gilt insbesondere für seinen Klimaschutzplan, der eine bedeutende Rolle für den Erfolg der Weltklimakonferenz im Herbst spielen wird und zulasten mächtiger Wirtschaftsinteressen in seinem Land geht. Das gilt aber auch für die Konflikte mit dem Iran und Kuba, die jahrzehntelang die internationalen Beziehungen belasteten und nun entschärft sind.

Er trägt dazu bei, den auch in Deutschland wiedererwachenden blinden Antiamerikanismus einzuhegen, der ausblendet, welch große Rolle die USA beim Kampf um Frieden, Freiheit und Demokratie eben auch immer wieder spielen. Wie gut, dass Barack Obama sich daran wieder erinnert hat. Und wie gut, dass er noch eineinhalb Jahre Zeit hat!

*Holger Schmale: Yes, he can. Leitartikel. Frankfurter Rundschau, 5. August 2015, Seite 11

2 Kommentare zu diesem Artikel bisher »

Kommentare zu »Yes, he can !«

  1. Lieber Ben,

    danke für diesen Hinweis (und für die vielen interessanten Informationen in anderen Mails!).

    Inhaltlich bringt der Artikel eigentlich nichts Neues. Ich finde es bemerkenswert, dass der Autor das alte Klischees vom „guten“ Obama und den „bösen“ Republikanern wieder aufwärmt – und gleichzeitig die Diskrepanz zwischen Worten und Taten, die ja schon kurze Zeit nach Obamas Amtseinführung zu einer großen Ernüchterung geführt haben, einfach überspielt, als ob das Ganze nur ein psychologisches Problem derjenigen, die Obama gewählt haben, sei.

    Zugleich schlägt der Autor selber eine Art messianischen Ton an und suggeriert, dass Obama alleine durch ein paar vollmundige Ankündigungen schon irgendetwas „voran bringt“. Das ist letztlich Politik als Illusion. Dass Obama niemals gegen „mächtige Wirtschaftsinteressen“ in den USA (und global) etwas entscheidet, ist eigentlich schon lange bekannt, man vergleiche dazu diesen Artikel: http://www.counterpunch.org/2015/06/19/progressive-obama-hes-melting-hes-melting

    Die eigentlich interessante Frage ist, wie dieser Leitartikel der FR zu verstehen ist. Ich sehe vor allem eine Stoßrichtung: die berechtigte (weltweite) Kritik an den Punkten, die der Artikel selber auflistet (Drohnenkrieg, NSA, etc), aber zu einem Imageproblem (das „Ansehen“ der USA) herabspielt, soll herabgewürdigt werden. Diese Kritik wird scharf als „pazifistische Sozialromantik“ diffamiert – Sozialromantik ist ein reaktionärer Schmähbegriff.

    Und das ist noch nicht alles.

    Danach phantasiert der Artikel von einem „blinden Antiamerikanismus“, den es „einzuhegen“ gilt. Diese Wortwahl ist ebenfalls ein propagandistischer Trick, denn selbstverständlich sind in diesem Fall viele Amerikaner, die sich als Dissidenten im eigenen Land verstehen, die größten „Antiamerikaner“. Und ein bestimmter „Antiamerikanismus“ wird von den Mainstream-Medien in Deutschland immer wieder gefördert – wenn es gerade passt, z.B. wenn Merkels Mobiltelefon abgehört wird. Da wird selbst die Bild-Zeitung „anti-amerikanisch“, und diese Haltung des „Anti-Amerikanismus“ ist politisch korrekt, solange die tatsächlich nach wie vor gut funktionierende atlantische ‚Partnerschaft‘ nicht hinterfragt wird. Und wer selber etwas schärfer hinsieht und die Märchen von „Frieden, Freiheit und Demokratie“ hinterfragt bzw. mit diesen Worten noch etwas mehr verbindet als es die NATO-Mythologie erlaubt, wird, wie in diesem Leitartikel, an den Pranger gestellt.
    Kurzum: immer mehr Menschen stellen grundsätzliche Fragen und gehen gesellschaftlichen und ökonomischen Problemen auf den Grund. „Occupy“/„Blockupy“ und viele andere Graswurzelgruppen sind dafür ein Beispiel. Die Anti-Putin-Hysterie von Seiten der politisch-gesellschaftlich-medialen Elite (um pauschal zu sprechen) im Sommer 2014 stieß auf erheblichen Widerspruch. Es ist nicht mehr so einfach wie vor 20 Jahren, die Bevölkerung für dumm zu verkaufen. Präsidenten wie Obama „regieren“ im Grunde nicht, sondern dienen bestimmten Interessen und repräsentieren das korrupte System, d.h. sie sind selber Teil des Problems. Zur Aufklärung haben u.a. Wikileaks und Edward Snowden beigetragen. Genau gegen die großen Verdienste solcher und anderer Whistle-Blower und gegen eine wirklich informierte und demokratische Öffentlichkeit – um von einer demokratischen Gesellschaft gar nicht zu reden – richtet sich der Leitartikel der FR.

    So, jetzt habe ich eine kleine Predigt gehalten (man könnte das alles sogar noch ausführlicher kommentieren) Ich vermute, dass Du manche Dinge ähnlich siehst und würde mich über eine kurze Nachricht freuen.

    Viele herzliche Grüße,
    Matthias

  2. Lieber Matthias,

    herzlich danke ich dir für deine Rückmeldung mit den vielen anregenden Anmerkungen und Anstößen.

    Gerne trage ich diese als Kommentar ein und hoffe, dass sie auch von anderen aus meinem Freundschafts- und Bekanntschaftskreis gelesen und vielleicht auch besprochen wird. Die angesprochenen Fragen und die geschilderten Beurteilungen interessieren mich zwar, aber ich persönlich kenne mich in diesem Themenkomplex viel zu wenig aus, um beitragen zu können; umso mehr freue ich auf die zu erwartende Diskussion.

    Viele Grüße.
    Ben.

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