Aufarbeiten, nicht verdecken

„Es bleibt Deutschen und Polen nichts anderes, als sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Das polnische Holocaust-Gesetz ist dabei nicht hilfreich“, meint Inge Günther* und schreibt:

Man kann sich die Szenerie gut vorstellen: Zwei jung-dynamische Regierungschefs in komfortablen Sesseln sitzen bei der Münchner Sicherheitskonferenz, der eine aus Wien, der andere aus Warschau. Reporter lauschen. Aber da kommt nichts, was sich aufzuschreiben lohnt. Der polnische Premier Mateusz Morawiecki lässt sich über alles Mögliche aus, nur nicht über das neue Strafgesetz, das jeden Vorwurf einer polnischen Komplizenschaft am Holocaust verbietet.

So schildert Ronen Bergman, israelischer Journalist, warum er nicht anders konnte, als diesen Mann mit seiner persönlichen Geschichte zu konfrontieren. Bergman ist der Sohn von Shoah-Überlebenden. Weil seine Mutter mithörte, wie polnische Nachbarn planten, die versteckten Juden der Gestapo zu melden, floh ihre Familie rechtzeitig in die Wälder.

Ob er sich mit dieser Aussage nun in Polen strafbar mache, hat Bergman gefragt, was Morawiecki zu der kaltschnäuzigen Bemerkung hinriss, es gebe ja alle möglichen Täter, auch jüdische. Als ob Juden, die im Angesichts des Todes von NS-Schergen zu Hilfsdiensten gezwungen wurden, schuldig am eigenen Schicksal seien.

Mit dieser Logik hat der schneidige Morawiecki den Unterschied zwischen Opfern und Tätern nonchalant verwischt. Man fragt sich, warum. Aus Ignoranz? Aus Provokation? Klar ist die Verstimmung in Warschau nachvollziehbar, wenn etwa Auschwitz-Besucher, unter ihnen auch israelische Jugendliche, von „polnischen Vernichtungslagern“ reden. Richtig ist natürlich, dass es deutsche Konzentrationslager auf besetztem polnischem Gebiet waren, in denen Millionen Juden malträtiert und ermordet wurden.

Nur vermengt sich im fraglichen Gesetz der Anspruch auf politische Korrektheit mit dem Wunsch polnischer Nationalisten, die Geschichte auf den polnischen Widerstand und das polnische Leiden zu reduzieren. Ich bin wahrlich keine Historikerin, aber weiß aus Gesprächen mit Holocaust-Überlebenden, dass es solche und solche gab. Polen, die aus Nächstenliebe Juden gerettet haben, und Polen, die aus antisemitischer Neigung Juden verraten haben. Beides im großen Maßstab.

Seine Mutter habe oft gesagt, so Bergman, die Polen seien schlimmer als die Nazis gewesen. Bekanntlich zogen die Vertreter der arischen Herrenrasse es ja auch vor, die Drecksarbeit zu delegieren. Doch die mit Abstand größte Gruppe unter den „Gerechten der Völker“, die von Yad Vashem geehrte werden, weil sie ihr Leben riskierten, um Juden vor dem Zugriff der Nazis zu bewahren, sind die Polen. 6532 polnische Gerechte weist die Liste der Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem aus. Die Zahl der aufgeführten 569 deutschen Judenretter nimmt sich vergleichsweise bescheiden aus.

Uns Deutschen bleibt im Umgang mit der Vergangenheit nichts übrig als ehrliche Aufklärung – das Einzige, worauf wir bei diesem Thema stolz sein können. Davon abgesehen neigen geschönte Selbstbilder zu hässlichen Rissen wie ein zu dick aufgetragenes Make-up.

Davor hätte übrigens auch der österreichische Kanzler Sebastian Kurz Herrn Morawiecki in München warnen können. „Wir waren die ersten Opfer“, haben sich die Österreicher bis in die späten Achtzigerjahre hinein vorgemacht, um ihren Jubel über den Anschluss an Hitler-Deutschland zu vertuschen. Bis es nur noch peinlich wirkte.

*Inge Günter, Frankfurter Rundschau, 24.02.2018, Seite 10.

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