Johanna Rahner: „In Konflikten leben, nach Frieden suchen“

Johanna Rahner

Eindrücke vom 101. Katholikentag in Münster
Florian Breitmeier im Gespräch mit der katholischen Theologin Johanna Rahner*

Weltweit herrschen Kriege, Gewalt, Zerstörung. Und um einen Klimafrieden wird zäh gerungen. Auch in der Kirche gibt es Konflikte und Kontroversen. Da äußern einige Kardinäle und Bischöfe massive Kritik am Kurs des Papstes, der Vorwurf der Häresie steht im Raum. Andere organisieren Aufrufe: „Pro Pope Francis“. Gläubige erleben vielerorts das schmerzhafte Ende vertrauter Strukturen. Kirche wird kleiner und ärmer, das verlangt nach neuer Entschiedenheit. „Suche Frieden“ lautet das Motto des 101. Katholikentags in Münster. Finden sich dort Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit?

*

Breitmeier:
In Münster endet am Mittag der 101. Deutsche Katholikentag mit einem Gottesdienst auf dem Schlossplatz. In der Stadt des Westfälischen Friedens sorgten mehr als 50.000 Dauerteilnehmer für die beste Besucherbilanz des Christentreffens seit vielen Jahren. Was aber bleibt vom Katholikentag 2018? Welche Impulse wurden in Münster gesetzt? Was verdeutlicht er für die Kirche? Darüber habe ich vor dieser Sendung mit Johanna Rahner gesprochen. Die katholische Theologin ist Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und ökumenische Theologie an der Universität Tübingen. Das Leitwort dieses Katholikentags lautete „Suche Frieden“, ein aktuelles Motto in einer Zeit politischer und militärischer Spannungen.

Frau Rahner, welchen Beitrag können die Religionen leisten bei der Suche nach Frieden?

Rahner:
Ich denke, dass es häufig der Eindruck ist, dass die Religionen ja das Problem sind, wenn es um die Frage des Friedens geht, dass von ihnen ein Gewalt-, ein Kriegs-potential ausgeht. Und der Katholikentag hat versucht, das deutlich zu machen, was innerhalb auch der theologischen Diskussion, sei es jetzt mit den Muslimen, mit den Vertretern des Islam, aber auch mit anderen Religionsgemeinschaften deutlich wird, dass die Religionen selber ein Potential des Friedensstiftens haben, dass das gehoben werden muss, dass darüber auch gesprochen werden muss, dass das im Dialog geschehen kann und muss und das interne Friedens- und friedensstiftende Potential auch deutlich werden zu lassen. Und der Katholikentag hat in vielfältigen Veranstaltungen auch versucht, das deutlich zu machen, dass aus den Religionen heraus tatsächlich ein Potential zum Frieden gehoben werden kann und dass die Religionen eben nicht nur das Problem in Sachen Frieden darstellen.

Breitmeier:
Dann schauen wir uns mal eine Veranstaltung genauer an, da hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Historiker und Friedensforscher Herfried Münkler diskutiert über die Frage, wie kann internationale Kooperation den Frieden stärken. Und Bundespräsident Steinmeier erklärte, wer langfristig die internationale Friedensarbeit stärken will, der müsse die Friedensverantwortung der Religionen stärken. Und der Historiker Herfried Münkler sagte sinngemäß, das Erfolgsmodell des Westfälischen Friedens vor 370 Jahren könne auch ein Modell für einen Friedensprozess im Nahen Osten bilden oder werden, nämlich dann, wenn die Unterschiede in Glaubensfragen so weit entpolitisiert werden, dass sich an ihnen keine politischen, militärischen Konflikte mehr entzünden können. Ist das jetzt mit Blick auf die aktuelle Lage im Nahen Osten ein frommer Wunsch oder können Religionen tatsächlich diesen Beitrag leisten, wenn sie sich auch entpolitisieren?

Rahner:
Ich glaube, es gibt keine Religion, die von sich aus sozusagen den Hang zum Politischen und den Hang zum Krieg hat, weil Religionen einfach die Sehnsüchte der Menschen auch spiegeln. Und ich kenne keinen Menschen, der in sich nicht tatsächlich die Sehnsucht nach Frieden verspürt. Und dementsprechend wäre es notwendig, glaube ich, dass die Religionen von sich aus auch deutlich machen, wo auch bei Beibehaltung ihres Wahrheitsanspruchs – die Möglichkeit zur Toleranz aus den Religionen herausgehoben werden kann. Und ich denke, jede Religion weiß eigentlich einen zentralen Unterschied, der darin besteht, zwischen der eigenen Gottesvorstellung und dem, wie Gott wirklich ist, also dieser kategoriale Unterschied, dass es immer um menschliche Gottesrede geht, die versucht sozusagen, möglichst nahe dran zu kommen an dieses Geheimnis Gott, aber dennoch immer eigentlich in ihrem Innersten weiß, es sind immer nur Versuche, schrittweise sich anzunähern. Also es gibt eine prinzipielle Differenz zwischen dem, wie Gott an sich ist und dem, wie wir von ihm denken und von ihm reden. Und sobald jede Religion diese Idee einmal verinnerlicht hat, ist klar, dass man gegenüber verschiedenen Wahrheitsansprüchen auch gegenüber verschiedenen Gottesvorstellungen in einen Dialog treten kann, weil diese prinzipielle Differenz eigentlich für alle Religionen gilt. Das heißt, allein diese Einsicht würde schon eine Toleranzmöglichkeit und eine Diskussionsmöglichkeit eröffnen. Und da ist dann wirklich auch in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften und der sie repräsentierenden Personen, sich gegen eine politische Vereinnahmung und Instrumentalisierung zu wehren.

Breitmeier:
In Konflikten leben, nach Frieden suchen – das gilt ja nicht nur für die Weltpolitik oder die Historie, sondern auch für die katholische Kirche in Deutschland derzeit. Da gibt es zum Beispiel unter den Bischöfen unterschiedliche Auffassungen, wenn es um Formen einer möglichen Segnung für homosexuelle Paare geht. Ich denke auch an den bischöflichen Streit über die Frage, ob evangelische Ehepartner in Einzelfällen zur Kommunion gehen können. Zeigt sich an diesen Fragen und ihrer unterschiedlichen Bewertung von Bischöfen und Gläubigen eine unheilvolle Kluft, Ihrer Meinung nach, zwischen der Hierarchie und dem Kirchenvolk?

Rahner:
Ich glaube, da ist sozusagen die Trennlinie ein bisschen falsch gezogen. Wir haben hier die Trennlinie tatsächlich zwischen Bischöfen und Bischöfen und zwischen Gläubigen und Gläubigen. Also es ist nicht einfach nur Hierarchie gegen Gläubige oder umgekehrt. Und hier bemerke ich etwas, was mich zunehmend als professionelle, wissenschaftliche Theologin irritiert, nämlich dass das bessere theologische Argument bei manchen Leuten einfach auf taube Ohren stößt, bzw. dass eine Ablehnung bestimmter Einstellungen, sei es die Zulassung des konfessionsverbindenden Ehe-partners zur katholischen Eucharistie, sei es die Möglichkeit der Segnung homo-sexueller Paare, dass da gute theologische Argumente einfach nicht fruchten, bzw. blockiert werden. Und dass man nicht mehr theologisch die Sache diskutieren kann, sondern dass da einfach Blockaden, sei es intellektueller Art oder sei es einfach vorurteilsbeladener Art, vorhanden sind.

Breitmeier:
Frau Rahner, die Frage geht da natürlich auch an die Dogmatikerin, aber auch an die Professorin für ökumenische Theologie, wäre es denn klug zu sagen: Die Basis hat das in weiten Teilen eigentlich schon entschieden, die Praxis vor Ort. Da fragt ja kaum noch jemand den Seelsorger, darf ich jetzt zur Kommunion gehen? Da wartet man ja auf keine Entscheidung aus der römischen Glaubenskongregation oder auf einen Mehrheitsbeschluss der Deutschen Bischofskonferenz. Aber ist das klug, tatsächlich zu sagen, ich treffe diese Entscheidung, was die Einheit der Kirche auch angeht?

Rahner:
Wenn Sie mich als Dogmatikerin fragen, ist das nicht nur klug, es ist theologisch angebracht und angemessen, weil mit dem 2. Vatikanischen Konzil haben wir zwei Grundentscheidungen getroffen. Die eine ist individuell, nämlich dass die Gewissensfreiheit ein entscheidender Faktor auch in Glaubensdingen ist, und das zweite ist eher ekklesiologisch-strukturell, nämlich dass der Glaubenssinn der Gläubigen eine Quelle von Theologie und damit auch von Lehre der Kirche ist. Das heißt, in diesem Fall hätten wir sowohl was die eine individuelle Ebene, nämlich die Gewissensentscheidung der Einzelnen/des Einzelnen angeht und auch was den theologischen Spürsinn der Gläubigen angeht, ein eindeutiges Votum. Und dass dieser Spürsinn der Gläubigen theologische Relevanz hat – neben der Tatsache, dass in Sachen jetzt der Zulassung des konfessionsverbindenden Ehepartners oder des evangelischen Ehepartners eigentlich auch theologisch die Dinge geklärt sind. Aber das scheint in manchen bischöflichen Häuptern noch nicht angekommen zu sein.

Breitmeier:
Aber wie geht denn dieser Streit dann aus? Die Aufforderung aus Rom lautete ja, einigt euch. Die Mehrheit der deutschen Bischöfe ist für diese zaghafte Öffnung, es gibt sieben Ortsbischöfe, die dagegen sind …

Rahner:
„einigt euch“ bedeutet ja nicht, dass die Minderheit Recht hätte, sondern es könnte ja auch dahin gehen, dass die Minderheit der Mehrheit zustimmt. Das ist auch eine Einigung. Ich möchte von diesen sieben Bischöfen mal ein anständiges dogmatisches Argument hören, und nicht die Frage nur der rechtlichen Zuständigkeit ventiliert wissen wollen. Und ich habe von allen von diesen bisher noch keine anständigen, auf dem Stand der aktuellen ökumenischen Diskussion sich befindenden und nicht vorurteilsbeladenen Diskussionspunkte gehört. Und darum geht es. Also, wenn das bessere theologische Argument nicht mehr zieht, dann bin ich als Theologin draußen in der Diskussion.

Breitmeier:
Aber wie steht es denn dann um die Debattenkultur in der katholischen Kirche – wenn diese Diskussionen so laufen, Ihrer Meinung nach?

Rahner:
Ich glaube, wir müssen eine neue Streitkultur finden und wir müssen auch wieder in eine Kultur zurückfinden, wo das gute theologische Argument, wenn es begründet ist, wenn es rechtlich sinnvoll ist und wenn es tatsächlich auch auf den Glaubenssinn der Gläubigen zurückgreifen kann, auch noch was zählt in der Argumentation.

Breitmeier:
Frau Rahner, in Münster waren wie bei den vergangenen Katholikentagen mehr als die Hälfte der Teilnehmenden weiblich. Nun erleben wir ja eine sehr breite Debatte über das Verhältnis von Frauen, Männern, Macht und Sexualität – Stichwort „#me too“. Gibt es diese Debatte in der katholischen Kirche, spielt die eine Rolle? Wie äußert sie sich?

Rahner:
Da muss ich jetzt etwas schmunzeln, weil ich glaube die #me too-Debatte und die Frage von Frau, auch von sexueller Gewalt, da gibt es schon seit Jahrzehnten innerhalb der feministischen Theologie und auch innerhalb des Katholikentags mit seinem ganzen Spektrum an Angeboten, viele Veranstaltungen zum Thema. Dass das jetzt ein allgemein-gesellschaftliches Thema wird, ist gut so. Aber es ist ja nicht so, dass wir, was die Debatte angeht, jetzt hinten dran wären in unseren Reflektionen und in unseren Veranstaltungen. Also da können wir höchstens sagen: Ja, gut, wir haben darüber schon längst diskutiert und wir haben auch ein Instrument, damit umzugehen, auch aus religiöser oder theologischer Perspektive. Also da, glaube ich, müssen wir uns jetzt nicht den Schuh anziehen, dass wir da jetzt hinterherlaufen würden und eine Debatte nachholen müssen.

Breitmeier:
Aber wenn man da diese Diskussion verfolgt, wenn man das mal etwas weitet, zum Beispiel über die Frage, ob Frauen Diakoninnen werden können. Auch die zögerlich-skeptische Haltung der männlich dominierten Kirchenhierarchie dazu. Wie können denn Frauen ihren Frieden finden in der katholischen Kirche?

Rahner:
Wir haben glaube ich nicht einen Grund in der Diskussion, der gegen ein Amt für Frauen in der katholischen Kirche sprechen würde. Und zwar durchaus in der amtlichen Funktion wie andere in amtlicher Funktionen für die Kirche auch agieren. Weil wir haben ja wiederum auch die Situation in unseren Gemeinden, dass viele seelsorgerische Arbeit ganz konkret von Frauen gemacht wird. Und da ist die Frage einer wirklichen Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche als Institution, ob sie dieses Handeln von Frauen wirklich als Handeln im amtlichen Sinne der Kirche akzeptiert und damit sakramental auch qualifiziert oder ob sie das nicht tut. Und das theologische Argument steht auf Seiten der Frauen. Und da muss ich mir auch nicht die Frage stellen, ob das je in der Historie so gewesen ist und mühsam also so etwas wie ein weibliches Diakonamt in der alten Kirche rekonstruieren, sondern es ist auch die Frage – das haben wir eigentlich mit dem Zweiten Vatikanum als theologischer Hinweis sehr deutlich zum Nachdenken anzuregen – was erfordert die Situation der Zeit und was sind die Zeichen der Zeit auch für die Kirche, um hier das Evangelium sichtbar zu machen. Und die Frauenfrage, das wusste Johannes XXIII. schon, ist eine der großen Fragen für die katholische Kirche. Und das war wohlgemerkt vor über 50 Jahren. Da hat sich nichts dran geändert.

Jetzt gibt es ja einen wunderbaren Film über die Apostelin Maria von Magdala, der im Augenblick in den Kinos läuft, wo tatsächlich etwas aufgenommen wird, was historisch real ist, nämlich dass auch Frauen in der Nachfolge Jesu vorhanden waren, dass sie auch das Evangelium verkündet haben und seit dem Jahr 2016 ist ja die Sache auch eigentlich theologisch-dogmatisch erledigt, weil Maria von Magdala zum Rang der Apostelin aufgewertet wurde durch Papst Franziskus und wir ein Apostelfest jetzt feiern. Also liturgisch ist die Sache schon längst klar und jetzt ist die Frage, was bedeutet das eigentlich für die Amtsstruktur der katholischen Kirche? Dann können sie ihre Argumente auch mal theologisch prüfen, was es nämlich bedeutet, ob jetzt Frauen tatsächlich von ihrem Wesen her nicht imstande sind, Christus zu repräsentieren. Und wenn sie die Frage mal vor ihrem Gewissen und ihrer theologischen Fantasie beantworten, dann gibt es eigentlich nur eine Antwort.

Breitmeier:
Nun spielten natürlich auf diesem Katholikentag die politischen Schlagwörter, die dieser Tage auch diskutiert werden, eine große Rolle: Heimat, Identität, Integration. Auffällig ist ja, dass es in der Gesellschaft einerseits die Haltung gibt, Religion soll besser Privatsache sein, eine sichtbare Religiosität wird in der Öffentlichkeit wird kritisch gesehen, andererseits werden genuin christliche Symbole wie das Kreuz auch politisch gedeutet und neben der christlichen Tradition auch als kulturelle Identitätsmarker verstanden. Die aktuelle Kreuz-Debatte in Bayern ist ein Beispiel dafür. Wie deuten Sie den Streit um das Kreuz, zeigt sich da eine Zeitenwende auch im Verhältnis Staat-Religion?

Rahner:
Ich würde dies nicht als Zeitenwende artikulieren wollen, sondern ich finde es höchst bedenklich. Wir sollten uns als christliche Gemeinschaft – egal ob wir evangelisch, katholisch, orthodox sind – dagegen wehren, dass das Kreuz ein Kulturzeichen ist. Es ist ein religiöses Zeichen. Mit dieser Kulturzeichen-Debatte versuchen sie nur auszuweichen, dass sozusagen eine staatliche Neutralität gegenüber allen Religionsgemeinschaften herrscht und sie keine bevorzugen müssen. Wenn sie also das Kreuz zum Kulturgut nivellieren, haben sie sich schon an der Religion selber vergriffen und ihr keinen Dienst geleistet, es sei denn einen „Bärendienst“. Und dagegen wehrt sich Kardinal Marx zu Recht. Es ist kein Kulturzeichen, weil unsere Kultur zwar christlich-imprägniert ist, aber lange schon, über Jahrzehnte, über Jahrhunderte hinweg, immer noch andere Kulturmerkmale über das Judentum oder jetzt seit 50, 60 Jahren auch über den Islam sozusagen definiert. Wir haben ein Drittel unserer Gesellschaft, die überhaupt keinen religiösen Bezug hat, das heißt wir müssen ein neues Gleichgewicht austarieren. Da ist das Kreuz ein Sinnangebot, aber es ist kein Kulturgegenstand.

Breitmeier:
Wenn man den Gedanken mal aufgreift, dann vielleicht nicht Zeitenwende, sondern doch eher Restauration, was das Verhältnis zwischen Staat und Kirche angeht, wie es vielleicht mal in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren der Fall gewesen ist.

Rahner:
Ich glaube, es ist einfach ein Zeichen von politischer Instrumentalisierung und dagegen muss sich eigentlich Religion zur Wehr setzen. Wir haben mit dem Westfälischen Frieden angefangen und das wäre sozusagen ein kleines Zeichen, dass man nicht dafür sorgt, dass das eigene religiöse Bekenntnis-Kennzeichen, das eigentlich integrativ ist, das heißt diese berühmte Satz des christlichen Glaubensbekenntnis, dass Christus für alle Menschen gestorben ist, also das Kreuz ein Zeichen tatsächlich für den universalen Heilswillen Gottes ist, dass das politisch instrumentalisiert wird, um andere Menschen auszugrenzen.

Breitmeier:
Weil auch eine Erfolgsformel so deutlich, dass jetzt auch des Westfälischen Friedens ja gewesen ist, dass man dieses Gewaltpotential, diesen Konflikt auch aufgespalten hat, um zu sagen: Die machtpolitischen Fragen wurden in Münster geklärt und die konfessionellen religionspolitischen Lösungsfindungen fanden in Osnabrück statt – also schon damals vor 370 Jahren eine Aufteilung zwischen Staat und Religion. Aber warum kommt das jetzt wieder zurück? Ist das auch so ein bisschen Verunsicherung in einer Moderne? Warum kehrt das wieder?

Rahner:
Ich halte es in der Zwischenzeit auch für billige Propaganda. Dass man sozusagen bestimmt frei flottierende Begriffe wie Heimat, wie Identität, wie Kultur etc. besetzt, und zwar mit politischen Interessen besetzt und da sucht man sich dann alles was irgendwie reinpasst. Und ich finde es richtig, dass Repräsentanten der Kirchen in Deutschland sich gegen eine solche Instrumentalisierung wehren, weil wir können diese Begriffe, sei es Heimat, sei es Kultur etc. wirklich theologisch viel besser und auch viel offener, dass sie eben nicht ausschließend sondern inkludierend sind für alle Menschen sind, interpretieren, und zwar aus unserer eigenen religiösen Kompetenz heraus.

Breitmeier:
Frau Rahner, die Stichworte „Heimat“, „Politik“, „Identität“ sind gefallen. Nun war es ja bei diesem Katholikentag in Münster so, dass eine Einladung an den religions-politischen Sprecher der AfD erfolgt ist, an einem Podium teilzunehmen. Es gab auch Proteste in Münster – auch im Vorfeld von Gläubigen und Theologen, die es unerträglich fanden, dass im Gegensatz zum Katholikentag von Leipzig vor zwei Jahren, nun eben eine Einladung erfolgt ist. Finden Sie die Entscheidung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken richtig, jetzt mit dieser Partei, oder einem Vertreter dieser Partei, zu diskutieren? Oder stehen Sie auf der Seite derer, die sagen, das hätte man nicht tun sollen?

Rahner:
Ich bin etwas zwiegespalten: Ich gebe es gerne zu, weil ich durchaus das Argument derer verstehe, die sie hier auf dem Katholikentag nicht sehen wollen, diese Leute, dass man ihnen kein Forum und kein Podium bieten sollte, um ihre demagogischen Wortmeldungen auch noch weiter zu verbreiten. Gleichzeitig kenne ich auch das Argument der anderen Seite: Die blamieren sich sowieso und jeder vernünftige Mensch, sobald die den Mund aufmachen, wird merken, was eigentlich dahinter steckt. Aber dieses Argument funktioniert auch nicht mehr so gut, weil es gibt einige Leute die merken das nicht – oder wollen es nicht merken – aber das erfordert natürlich Aufklärung.

Breitmeier:
Wenn ich das so aufgreife, dann denke ich, dass es ja Kirchen auch ihrem Selbstverständnis nach darum gehen sollte, auch Werte zu vertreten, auch zu erstreiten, auch zu erkämpfen, wenn auch auf friedlichem Wege, die nicht nur für eine Integration der eigenen Klientel sorgen, sondern auch eine integrative Kraft für die Gesamtgesellschaft haben – ich sag mal idealtypisch gesehen. Und nun treten aber in der katholischen Kirche derzeit an vielen Stellen – also nicht nur in moral-theologischen Fragen, sondern auch in dogmatischen Fragen Differenzen auf, wir haben über die Bischöfe gesprochen, die sich gegenseitig kritisieren, aber auch Gläubige, die eben unterschiedliche Positionen vertreten.

Ich möchte am Ende dieses Gespräches, Frau Rahner, vielleicht auch die provokante Frage stellen: Glauben Sie, dass die katholische Kirche in Deutschland das Motto dieses Katholikentages „Suche Frieden“ derzeit eigentlich nur als Aufforderung in eigener Sache verstehen kann? Und vielleicht gar nicht die Kraft hat nach außen zu gehen, weil so viele Baustellen innerhalb der Kirche sind.

Rahner:
Der alte deutsche Philosoph Immanuel Kant hat zum Frieden einmal gesagt: Es ist eben nicht die Friedhofsruhe, sondern Friede bedeutet tatsächlich zum Schluss, am Ende eines Streites, einer Auseinandersetzung, eines Diskurses, wo es auch drunter und drüber gehen kann, wo es auch ans Eingemachte gehen muss, dann einen Weg zu finden, miteinander klarzukommen.

Mit Friedhofsruhe hat das nichts zu tun, aber mit Toleranz am Ende auch, wenn man die gegnerische Position nicht teilen kann, sie trotzdem stehen zu lassen, das wäre ein guter Weg und da ist glaube ich, ist Münster, die ganze Geschichte von Münster und Osnabrück mit dem Westfälischen Frieden, ein gutes Vorbild und da ist auch dieser Katholikentag ein gutes Vorbild.

*Johanna RahnerProfessorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und ökumenische Theologie an der Universität Tübingen. Quelle: NDR-Kultur. Glaubenssachen. Sonntag, 13. Mai 2018

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