Jason Stanley: „Schweigen ist keine Option mehr“

Der Faschismus-Experte Jason Stanley* über seinen Weggang von Yale nach Toronto, die Situation in den USA und Trumps Wesen als gefährlicher Clown. Ein Interview von Michael Hesse 

TORONTO/FRANKFURT a.M., 03.04.2025: Jason Stanley kann sich vor Interview-Anfrage kaum retten. Seit seiner Ankündigung, die USA wegen Trump verlassen zu wollen, hat sich sein Leben fast auf den Kopf gestellt. Vor dem Interview möchte er noch schnell seine Schuhe anziehen, um draußen während des Gesprächs etwas hin und her laufen zu können. 

Professor Stanley, Sie verlassen Yale, eine der angesehensten Universitäten der Welt, und gehen nach Kanada. Ihre Begründung ist ungewöhnlich deutlich: Sie nennen die amerikanische Hochschullandschaft „erniedrigend“, „feige“  – und sprechen von einem autoritären Klima. Was genau erleben Sie?

Ich erlebe, dass Universitäten, die einmal für intellektuelle Autonomie standen, heute vor der Regierung kuschen. Ich erlebe, dass Kolleginnen und Kollegen verängstigt sind – nicht wegen ihrer Forschung, sondern wegen ihrer Nationalität, ihrer Herkunft, ihrer Meinung. Ich erlebe, dass nicht mehr argumentiert wird, sondern gedroht. Und dass diese Drohungen Wirkung zeigen. 

Die Columbia University ist ein Beispiel. Die Regierung Trump droht, ihr Hunderte Millionen Dollar zu entziehen, falls sie propalästinensische Proteste nicht unterbindet oder ihr Nahost-Institut „reformiert“. Columbia lenkt ein. War das für Sie ein Wendepunkt?

Nein, es war ein Symptom. Der eigentliche Wendepunkt war, als die anderen Universitäten dazu schwiegen. Columbia wurde isoliert – das war der Fehler. Es hätte ein gemeinsamer Aufschrei sein müssen. Eine solidarische Front. Stattdessen: institutionelle Angst, stille Kapitulation. So funktioniert Autoritarismus: Er greift einzeln an, weil er weiß, dass die Einzelnen schwächer sind als das Ganze. 

Würden Sie das mit dem Verhalten deutscher Universitäten nach 1933 vergleichen? Natürlich ist die Situation nicht eins zu eins übertragbar. Aber der Mechanismus ist vertraut: die Hoffnung, sich durch Loyalität oder Anpassung dem Zugriff zu entziehen. Wer glaubt, durch Schweigen verschon zu werden, irrt. Die Attacken auf die akademische Freiheit in den USA folgen einer Logik der Einschüchterung – und wer sich nicht wehrt, wird Teil dieser Logik. 

Sie lehren seit 13 Jahren in Yale. Warum jetzt dieser Schritt?

Weil der Punkt erreicht ist, an dem Schweigen gleichbedeutend mit Zustimmung ist. Ich kann und will diese Komplizenschaft nicht mehr mittragen. Die Universitäten lassen sich – ob aus Kalkül oder Angst – auf ein Spiel ein, dessen Regeln nicht mehr rational, sondern mafiös sind. 

Mafiös?

In der Literatur über Faschismus – bei Hannah Arendt, bei Horkheimer und Adorno – taucht immer wieder das Bild des faschistischen Führers als Gangsterboss auf. Genau das sehen wir: Man verlangt Unterwerfung, Loyalitätsbeweise. Die Institutionen sollen den Ring küssen. Wer sich weigert, wird öffentlich gedemütigt. Oder inhaftiert. So zerstört man eine demokratische Kultur – langsam, aber wirkungsvoll. 

Sie meinen den Fall einer Studentin der Tufts University, die wegen eines Artikels zur Israel-Politik verhaftet wurde.

Ja. Die junge Frau war Co-Autorin eines Meinungsbeitrags in der Studierendenzeitung – das allein reichte, um sie zu verhaften und in ein Gefängnis nach Louisiana zu bringen, einen der brutalsten Orte des US-Strafvollzugs. Das ist kein Unfall. Es ist eine Machtdemonstration. Die Botschaft lautet: Wenn du kein amerikanischer Staatsbürger bist, halte dich mit Kritik besser zurück. 

Sie sprechen seit Jahren von einer faschistischen Dynamik in den USA. Sind wir mittendrin?

Es ist nicht mehr der Anfang. Es ist der Anfang von der Mitte. Und es ist schon sehr weit fortgeschritten. Die Kultur der Lüge, die Dämonisierung von Gegnern, das Verbot von Komplexität, die Rückkehr der völkischen Rhetorik, der Angriff auf autonome Institutionen – all das ist da. Und ja, auch die Lust am Spektakel, am Erniedrigen. Faschismus war nie nur Schrecken. Er war immer auch Unterhaltung. Deshalb funktioniert Trump. 

Was meinen Sie genau?

Weil er ein sadistischer Clown ist. Seine Fans lieben ihn nicht trotz, sondern wegen seiner Grobheiten. Sie lache, wenn andere weinen. Sie jubeln, wenn jemand in Handschellen abgeführt wird. Das Weiße Haus postet solche Bilder selbst. Es ist eine Ästhetik der Demütigung. Inklusive Like-Button. 

Ist das noch Demokratie?

Es ist eine Demokratie im Schleudergang. Eine Demokratie, die sich ihrer eigenen Prinzipien schämt. Checks and Balances? Der Sprecher des Repräsentantenhauses sagt offen, man werde Urteile von Bezirksgerichten ignorieren. Kein einziger Republikaner widerspricht Trump. Keiner. Das ist keine Kontrolle der Macht mehr. Das ist Gefolgschaft. 

Warum wehren sich die Demokraten nicht?

Weil sie an ein Spiel glauben, das nicht mehr existiert. Sie glauben an Rationalität, an Institutionen, an Normen. Aber die Gegenseite will keine Debatte, sie will Sieg. Sie hat eine Strategie. Die Demokraten haben ein Programm. Das reicht nicht. 

Wie sehen Sie Deutschland in diesem Kontext?

Deutschland ist für viele ein Ort der Hoffnung – gerade wegen seiner Vergangenheit. Aber auch hier wachsen die Risse. Die AfD ist kein Ost-Problem. Sie ist ein deutsches Problem. Und ich sehe mit Sorge, dass es auch hier Unterschiede zwischen „guten“ und „schlechten“ Juden gibt. Ich bin, was das betrifft, sicher ein „schlechter Jude“. Ich gehöre nicht zur offiziellen Linie. 

Könnten Sie sich vorstellen, in Deutschland zu lehren?

Ja, das könnte ich. Mein Großvater lebte in Berlin, meine Großmutter spielte in Fritz Langs „Metropolis“. Aber es ist schwer. In Deutschland eine Professur zu bekommen, ist fast unmöglich. 700 Bewerbungen auf eine Stelle – das ist kein akademischer Markt, das ist ein Prekariat. 

Was Nehmen Sie aus der Geschichte Ihrer Familie mit?

Dass politische Brüche nicht abstrakt sind. Mein Vater wuchs im Berlin der Dreißiger auf. Nach der Reichspogromnacht flohen sie. Ich lese oft das Buch meiner Großmutter: „Eines Tages, der ein Tag wie alle andere zu sein schien, hieß es: Bleib stehen. Dein altes Leben ist vorbei.“ Dieser Satz verfolgt mich. Und er hat eine neue Aktualität bekommen. 

Ist das alles noch zu stoppen?

Die Geschichte zeigt: Es braucht nur wenige. Aber diese wenigen müssen jetzt den Mund aufmachen. Schweigen ist keine Option mehr. Es ist zu spät für Illusionen – aber vielleicht noch früh genug für Widerstand.

*Jason Stanley, 1969 in Syracuse, New York, geboren, ist einer der einflussreichsten US-amerikanischen Philosophen. 2024 erschien im Westend-Verlag sein Buch „Wie Faschismus funktioniert“ (engl. „How Fascism Works“, 2018). Stanley analysiert darin souverän moderne faschistische Strömungen.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 04. April 2025, Seite 17

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5 Kommentare zu diesem Artikel bisher »

Kommentare zu »Jason Stanley: „Schweigen ist keine Option mehr“«

  1. Sehr interessanter Artikel. Und spiegelt die Realität hier sehr gut wider.

  2. Lieber Arne,
    bizarr!
    Dir in alledem alles Gute!
    Ben

  3. Lieber Ben,

    ich danke Dir für das Interview, das ich allerdings als FR-Print lesen werde – ich hab die FR als Print abonniert, kommt per Zeitungsausträger zu mir.

    Ich habe inzwischen entschieden, dass ich nicht alle Artikel zu „Trumpel“ (meine Wortschöpfung) lesen werde. Derzeit sind es einfach zu viele Infos, deren Einzelheiten ich nicht alle lesen will.

  4. Hallo Ihr,

    Das ist eine ganz brillante Analyse. Super.

    Ja. Auf jeden Fall sind die USA auf dem Durchmarsch in den Faschismus.

    Zumindest zerstört Trump gerade die verfassungsmäßigen und parlamentarischen Grundpfeiler der USA, die es seit 300 Jahren gab.

    Vor wenigen Wochen fragte man sich noch, ob man die USA als „schurkische Supermacht“ bezeichnen solle. Der Begriff sollte wohl etwas unter dem Faschismusbegriff lancieren (es sind ja schließlich unsere Freunde die USA). Viele sagten, das sei im Ganzen wohl doch übertrieben.

    Doch jedem, der unseren hiesigen Nationalsozialismus vom Sound her noch im Gedächtnis hat, ist klar, daß das Schurkische und das Faschistische nicht etwas Verschiedenes sind, sondern sich bedingen.

    Natürlich hat sich Trump sein ordinäres Auftreten bei Putin abgeschaut. Und alle zusammen haben ihre Vorläufer wohl in Berlusconi. Vulgäre Mafiabosse.
    Loyalität zählt mehr als Recht und Gesetz.

    Ganz typisches Merkmal der Faschismen. Schon damals. Und auch damals war das ja ein globaler Trend.

    Wenn man sich damit brüstet, als Herrscher und Gesellschaft besonders inhuman zu sein, das ist auch so ein Zeichen.

    Und wenn die Inhumanität nicht mehr heimlich und verschämt, sondern auf offener Bühne stattfindet. Wenn das Land zu dieser Bühne gemacht wird. Wenn es einen Wettbewerb gibt, wer am Inhumansten ist, dann ist Faschismus.

    So war es ja auch hierzulande: Die Juden und andere wurden nicht heimlich aus ihren Wohnungen geholt. Sondern öffentlich mit großen SA-Trupps und LKW. Und der Ansage in Radio, Wochenschau und auf der Strasse :“Hier werden die Feinde des deutschen Volkes ihrem gerechten Schicksal zugeführt!“
    Damit das Volk auch bloß jeden Tag die Entschlossenheit vorgeführt bekommt.

    Nun noch was zur Kirche: Neulich bei der Amtseinführung Trumps, äusserte sich im Radio Wolfgang Thierse. Er sagte, Trump sei natürlich schrecklich. Aber die parlamentarische Vereidigungsformel „So wahr mir Gott helfe“ sei doch eigentlich sehr positiv. Schliesslich weise sie auf die begrenzte Machtfülle des Amtsträgers hin. Thierse hat hier ein gut lutherisches Verständnis davon, und spricht aus ostddeutsch-evangelischer Perspektive.

    Die Verhältnisse in den USA sind aber leider anders. Ob Thierse das weiß?

    Elftes Gebot: Du sollst Evangelikale nicht mit Lutherischen verwechseln.

    Die in den Trump-Gebieten wohl dominierenden Evangelikalen sehen in Trump nämlich einen Gottgesandten… Einen Heilsbringer. Eine Lichtgestalt. (fast hätte ich gesagt Luzifer) Als Politiker.

    So etwas ist unserer europäischen Realität so fern, daß wir uns dies noch nichtmal vorstellen mögen.

    Aufklärung über die religiösen Verhältnisse ist, auch in der Schule hier daher wichtig.

    Daher bin ich auch froh, daß sich unsere Konfessionen wenigstens von der AFD abgrenzen.

    Gibt es einen Weltbund der evangelischen Kirchen? Und wenn ja, müsste man die US-amerikanischen Evangelikalen da nicht mal rausschmeissen?

    Oder müsste man nicht eine US-amerikanische evangelikale Widerstandskirche gründen?

    Trump ist wirklich erst seit Februar im Amt!!!

    Wir müssen uns dagegenstellen.
    Seid geknuddelt,
    Jörn

    DIEDERICHSAtelier
    Friedensstrasse 12
    01097 Dresden
    0351 / 5635704
    01512 / 6845072
    http://www.jörndiederichs.de

  5. Lieber Ben,

    vielen Dank für dieses interessante Interview! In seiner Klarheit und Deutlichkeit sehr erschreckend…

    Viele liebe Grüße, auch an Ubbo!
    Malve

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