…von vorgestern!

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Der Streit um den Vorschlag der Bundesjustizministerin, homosexuelle Lebenspartnerschaften endlich der Ehe rechtlich komplett gleichzustellen, ist – in der Tat – „unproduktiv und vorgestrig“. In einem Leitartikel am 4. August 2011 schreibt Christian Bommarius dazu:

Manche Debatten sind derart von gestern, dass der interessierte Zeitgenosse sie eher in Geschichtsbüchern als in der Tageszeitung erwartet. Denn alle Argumente für und wider sind längt ausgetauscht, eine politische und gesellschaftliche Mehrheit tendiert seit Jahren für den einen oder den anderen Standpunkt, die Sache ist im Kern schon längst entschieden – wozu also erneut eine Debatte, die nichts mehr voranbringt. Der Streit um den Vorschlag der Bundesjustizministerin, homosexuelle Lebenspartnerschaften endlich der Ehe rechtlich komplett gleichzustellen, ist eine solche Debatte, unproduktiv, vorgestrig und nicht einmal denen hilfreich, die sie jetzt wieder betreiben. Denn die konservativen Politiker der Union haben sich mit ihrem Protest gegen die Pläne Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers nicht nur mit der Ministerin und sämtlichen Oppositionsparteien angelegt, der heftigste Widerspruch kommt inzwischen aus den eigenen Reihen, nicht nur von den Lesben und Schwulen in der Union (LSU). Mit anderen Worten: Die Konservativen bekommen zu spüren, wie es sich anfühlt, wenn die Zeit über einen hinweggegangen ist.

Dafür hat sich die Zeit allerdings sehr viel Zeit gelassen. Zwischen dem Edikt des römischen Kaisers Justinian , der „Novella 77“ von 538, mit dem er neben der Gotteslästerung den männlichen Geschlechtsverkehr verbot, weil beide Hungersnöte, Erdbeben und Pest hervorriefen, und der Bemerkung eines bayerischen Kultusministers im Jahr 1987, Homosexualität sei „naturwidrig“, dieser „Rand“ müsse „dünner gemacht, er muss ausgedünnt werden“, liegen mehr als 1 400 Jahre. Mehr trennt sie nicht – die 1 400 Jahre umschließen die Epoche der Homosexuellenverfolgung. Bis 1969 war männliche Homosexualität strafbar nach § 175 Strafgesetzbuch. Allein im Jahr 1955 wurden noch 1 628 Männer deshalb verurteilt.

Erst mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 der damaligen rot-grünen Bundesregierung hat die Epoche der Emanzipation der Homosexuellen begonnen. 23.000 schwule und lesbische Paare haben seitdem von dem Angebot Gebrauch gemacht, das zwar keine Gleichstellung der Lebenspartnerschaft mit der Ehe gewährt, aber immerhin eine rechtliche und soziale Absicherung verheißt. Damals wie heute erhob sich in der Union ein moralisches Speikonzert, wurde die „planmäßige Zerstörung der Ehekultur“ beschworen, schon damals aber entschied das Bundesverfassungsgericht: „Dem Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können.“

Das haben die Kritiker schon damals nicht und sie haben es bis heute nicht begriffen. Die Folge ist bis heute, dass die Union die gesetzliche Diskriminierung der Lebenspartnerschaften hütet, als wäre sie der Heilige Gral. Zwar haben die Lebenspartner die gleichen Pflichten wie Eheleute, aber keineswegs die gleichen Rechte. Der Staat behandelt sie wie Eheleute, wenn er sich entlasten kann; er betrachtet sie als Singles, wenn er daran verdient. Wird zum Beispiel ein Lebenspartner arbeitslos, bekommt er kein Hartz IV, wenn sein Partner genug verdient. Doch der unterhaltspflichtige Partner wird vom Fiskus in die Steuerklasse I geschoben, also zur Kasse gebeten wie ein Single.

Weil vom Gesetzgeber nichts zu erwarten war, haben sich die homosexuellen Lebenspartner Verbesserungen auf dem Rechtsweg erstreiten müssen. Zuletzt ist ihnen das vor dem Bundesverfassungsgericht gelungen, der die Benachteiligung homosexueller Lebenspartner gegenüber Ehepaaren bei der Erbschaftssteuer für verfassungswidrig erklärte. Gelingen dürfte ihnen das auch in diesem Jahr wiederum in Karlsruhe im Streit um das Ehegattensplitting, und auch im Adoptionsrecht sollte Bewegung in die Sache kommen. Zwar darf schon heute ein Lebenspartner das leibliche Kind des anderen adoptieren, nicht hingegen ein adoptiertes Kind des Lebenspartners. Das diskriminiert nicht nur die Lebenspartner, es diskriminiert auch die betroffenen Kinder.

Soeben hat Hans-Jürgen Papier, bis vor einem Jahr Präsident des Bundesverfassungsgerichts, beteuert, es gebe „grundsätzlich keine Grenzen der Gleichbehandlung mehr“. Wenn die konservativen Unionspolitiker schon nicht Leutheusser-Schnarrenberger glauben wollen, vielleicht hören sie auf die Stimme der Vernunft aus ihren eigenen Reihen: Papier ist Mitglied der CSU.

© Christian Bommarius, Frankfurter Rundschau 4.08.2011;
Hervorhebungen: Ben.

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