Unsere Freunde, unsere Feinde

USA

Ein Bündnis, in dem ein Partner den anderen total überwacht, hat keine Treue mehr verdient. Es ist Zeit, im Verhältnis zu den USA auch mal von Feindschaft zu reden.

„Jetzt reicht‘ s auch einmal.“ Bundespräsident Joachim Gauck hat endlich das Wort ergriffen. Ihm ist durchaus zuzustimmen. Aber warum reicht es erst jetzt? Es hätte doch nicht erst des Angriffs US-amerikanischer Geheimdienste auf den NSA-Untersuchungsausschuss bedurft, also auf eine Institution es Deutschen Bundestages und damit auf den Souverän unserer Demokratie.

Die Überwachung durch die angelsächsische Super-Stasi ist ohnehin schon total, das heißt maßlos. Dass ihr nun ein BND-Mitarbeiter behilflich gewesen sein soll, mit dem Angriff auf das Parlament auch den normativen Kern, ja den Inbegriff, das Symbol eines jeden demokratischen Gemeinwesens zu treffen, ist bloß noch eine Bestätigung, gewissermaßen das i-Tüpfelchen: Die Geheimdienste bewegen sich nicht mehr nur in außerdemokratischen Sphären, sondern gehen dezidiert demokratiefeindlich vor.

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden wissen wir das. Und seit en Enthüllungen von Edward Snowden tut e Bundesregierung – fast nichts. Ihre fortgesetzte Untätigkeit wird zum Menetekel der Selbstabschaffung unserer Demokratie. Umso dringlicher stellt sich die Frage, was aus dem offenkundigen Staatsversagen folgt. Dazu drei Beobachtungen.

Erstens: Sprachakrobaten in regierungsamtlicher Mission haben große Anstrengungen unternommen, das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA unbeirrt von allen spionagebedingten Verwerfungen als Freundschaft zu bezeichnen. Da war allenfalls von einer Trübung der Freundschaft die Rede, von Enttäuschungen und Belastungen, von Tiefpunkten und Abkühlungen. Eine deutlichere, zumindest rhetorische Absetzung – weit entfernt von allen weitergehenden, eher handfesten und damit wirkliche folgenreichen Distanzierungen – wollte man nicht riskieren. Denn sonst wäre ja auch das transatlantische Bündnis in Hinblick auf die mit ihm verbündenden Angriffe auf unsere Verfassung, auf Freiheitsrechte und Menschenwürde kritisch zu befragen. Dieses Bündnis schient wie ein eherner Selbstzweck keinen äußeren Kriterien mehr unterworfen zu sein.

Zweitens: Die offenkundige Verkehrung – nicht mehr unsere Grundrechte gelten absolut, sondern die Bündnistreue – ist erstaunlich, erschreckend und irgendwann auch unumkehrbar. Unsere Bürgerrechte werden geopfert im Namen des transatlantischen Bündnisses, das nicht nur eine Gemeinschaft freiheitlicher Werte ist, sondern vor allem ein geostrategischer Interessenverband, also ein Machtbündnis. Erfahrene Transatlantiker werden einwenden, dass ohne eine wehrhafte Machtbasis kein Schutzraum für unsere demokratischen Errungenschaften bestehen kann. Das ist ein richtiger Einwand, verkennt allerdings, dass eine zunehmend erodierende Wertebasis auch nicht mehr schützenswert ist: Wer möchte denn mit welchen Gründen ein entleertes Versprechen, also eine Lüge noch verteidigen?

Drittens: Der politische Totalausfall unserer Regierung an eben dieser Stelle hat fatale Konsequenzen: Wir, die Bürgerinnen und Bürger, werden nicht nur mit einem übermächtigen Geheimdienst alleingelassen, sondern auch daran gewöhnt, dass uns nicht einmal unsere Rechte noch gehören, weil sie jederzeit auf dem Altar höherer, der demokratischen Kontrolle entzogener Interessen geopfert werden können.

Grundrechte werden zur Verhandlungssache – abhängig von politischen Konjunkturen. Das transatlantische Wertebündnis, die Gemeinschaft der Demokratien scheint sich nach dem Vorbild von Disney World oder Potemkin’schen Dörfern zu verändern – und mutiert zu einem einzigen großen Als-ob. Doch bleiben wir sachlich und stellen einfach fest: Ein bürgerliches Gemeinwesen ohne garantierte Bürgerrechte ist keins.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich drei Vorschläge, was jetzt zu tun ist:

Erstens: Einführung der Feindschaft als politische Kategorie. Wer wegen der sogenannten Wertegemeinschaft vor der Konsequenz zurückschreckt, das transatlantische Verhältnis in toto als Feindschaft zu beschreiben, der wir der Klarheit wegen zumindest von einer deutliche feindlichen Dimension innerhalb dieser Freundschaft sprechen müssen.

Zweitens: Bundespräsident Joachim Gauck ans Mikrofon. Unlängst hielt der Freiheitspathetiker Gauck den Türken ihre Demokratiedefizite vor. Vollkommen zu Recht. Doch nun muss er für die Verteidigung unserer freiheitlichen Grundordnung das Wort ergreifen, ein „Jetzt reicht’s“ reicht nicht aus – eine Ruck-Rede der Freiheit muss es schon sein.

Drittens: Asyl für Edward Snowden in Deutschland. Wenn sich die Bundesregierung nicht länger von ihren „Freunden“ vorführen lassen will, dann muss sie mit einem deutlichen Signal auf ihrer Eigenständigkeit bestehen. Snowden wäre unsere Rache und vor allem ein wichtiger Zeuge bei der Aufklärung im NSA-Untersuchungsausschuss.

Christian Schlüter, Leitartikel, Frankfurter Rundschau (FR), 7. Juli 2014, Seite 11.

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