DER ANC HAT BEI DEN KOMMUNALWAHLEN IN SÜDAFRIKA Stimmenverluste einstecken müssen. Er bleibt zwar mit 53,91 Prozent stärkste Kraft, er hat aber gegenüber 2011 (61,95%) acht Prozent eingebüßt. Gottfried Wellmer* berichtet, analysiert und kommentiert:
Zur Wahl am 3. August 2016 standen die Stadt- und Gemeinderäte in acht Metropolen, 44 Kreisgemeinden (district municipalities) und 207 Gemeinden (local municipalities). 126 Gemeinden konnte der ANC direkt gewinnen, 24 gingen an die Democratic Alliance. Die DA kann sich für den eigentlichen Wahlgewinner halten. Ihr Stimmenanteil stieg von 23,8 Prozent 2011 auf 26,89 Prozent 2016. Das ist landesweit gesehen nicht viel, doch sie hat in Kapstadt ihre bisherige Mehrheit auf zwei Drittel der Sitze ausbauen und dem ANC auch die Mehrheit in Nelson Mandela Bay (Port Elizabeth) und vor allem in Tshwane (Pretoria) abnehmen können. Auch in Johannesburg verlor der ANC seine Regierungsmehrheit. Hier und in anderen Gemeinden konnten die Economic Freedom Fighters (EFF) zum entscheidenden Mehrheitsbeschaffer beim Machtwechsel werden, ohne eine Koalition mit der DA einzugehen.
Die Minderheitsregierungen der DA in Gauteng und in Nelson Mandela Bay sind daher krisenanfällig und instabil. Über den Nacken der neuen DA-Bürgermeister hängt ein Damoklesschwert, das von den EFF kontrolliert wird. Die Partei, die sich unter Julius Malema von der ANC-Jugendliga abgespalten hatte, wurde mit 8,2 Prozent drittstärkste Kraft der Kommunalwahlen, konnte aber keine Gemeinde direkt gewinnen. Das gelang sonst nur noch der Inkatha Freedom Party (IFP), die mit landesweit 4,25 Prozent acht Gemeinden in KwaZulu-Natal direkt eroberte.
Der ANC hat nur noch in drei der acht Metropolen eine absolute Mehrheit, 2011 waren es noch sieben. In Johannesburg gewann der ANC 121 Sitze, die DA 104, die EFF 30 und die anderen Kleinparteien 15. Für eine siegreiche Bürgermeisterwahl brauchte eine Partei 136 Stimmen. Eigentlich hatte Johannesburg mit Parks Tau einen erfahrenen Bürgermeister, der für eine nicht korrupte Stadtregierung stand. Seine Kompetenz wird allgemein anerkannt. Obwohl Tau als persönlich sympathischer und aufrechter Politiker gilt, wollten die EFF dem ANC nicht zur Macht verhelfen. Also stimmte die Partei für den DA-Kandidaten Herman Mashaba als Bürgermeister, obwohl sie diesen eigentlich als „Kapitalisten, der Schwarze nicht respektiert“, kritisiert hatte. Doch die EEF sehen ihr Hauptziel darin, den ANC von der Macht zu drängen. Die DA-Minderheitsregierung kann von den EFF-Ratsfraktionen erpresst werden.
In Gauteng hat der ANC nur noch 46 Prozent der Stimmen eingefahren, ein herber Verlust gegenüber den 60 Prozent von 2011 in einer Provinz, in der 35 Prozent des Bruttoinlandprodukts Südafrikas erwirtschaftet werden. Ein Zweig des Gauteng-ANC hatte schon im April 2016 dafür votiert, Jacob Zuma als Parteivorsitzenden und Präsidenten abzusetzen (news24.com vom 31.8.16). Dieser rächt sich, indem er die Führung des ANC in Gauteng auswechseln und mit „seinen“ Leuten bestücken will. Kürzlich sagte der ANC-Vorsitzende in Gauteng, Paul Mashatile, der ANC leide unter Fraktionskämpfen, lähmenden Spaltungen und mangelnder Disziplin.
„Wir sind vom Kurs abgewichen,
und das Schiff des ANC befindet sich in stürmischen Gewässern.
Kurz: wir sind in schwerer Not.“
(Daily Maverick, 4.9.2016)
Zerstört sich der ANC selbst?
Was hat zum schlechten Abschneiden des ANC geführt? Der Direktor der School of Governance der Wits-Universität in Johannesburg, David Everatt, behauptet, ohne das wirklich zu belegen, der ANC sei in zwei Fraktionen gespalten. (fin24.com, 31.8.2016) Die eine Fraktion sähe den ANC in einer ländlich geprägten, konservativen Zukunft, die andere Fraktion bestehe aus städtischen Modernisierern. Erstere sehe sich als „sons of the soil“ und bestehe aus loyalen Mitgliedern einer autoritären Partei, die andere setzte sich aus den „clever blacks“ zusammen, die sich vom modernen Leben verführen ließen und keine kulturellen Wurzeln mehr hätten. Allerdings macht die These wenig Sinn, denn auch den konservativsten ANC-Politikern dürfte klar sein, dass nur noch 35 Prozent der Bevölkerung auf dem Land leben. Zudem zeigen Wahlanalysen, dass der ANC auch in eher ländlichen Räumen erheblich an Wählergunst eingebüßt hat. Im Freistaat verlor der ANC 13,34 Prozent der Stimmen, in Nord-West ganze 19 Prozent und im Nordkap immer noch acht Prozent. Die Verluste des ANC sind also flächendeckend. Von den 42,3 Prozent der registrierten Wähler, die nicht zur Wahl gegangen sind, gehört die Mehrheit zu den städtischen Armen. Umso schwerer wogen daher die Stimmen der aspiranten schwarzen Kleinbourgeoisie (die „clever blacks“).
Das Hauptproblem heißt also, wie ist die Zukunft zu gestalten? Eine Strategie des untergehenden Apartheidregimes war die Spaltung der schwarzen Arbeiterschaft in angelernte Arbeiter mit Aufenthaltsrechten und ungelernten temporären Migranten, die ohne Arbeitsvertrag und ohne Unterkunft nach Arbeit suchen mussten. Die Städte waren nicht daran interessiert, ihre begrenzten Bauflächen von Armen besiedeln lassen, sie bevorzugten Steuern zahlende Industrien bzw. Bürger. Wer ein Aufenthaltsrecht im begrenzten weißen Gebiet besaß und sich Hoffnungen auf einen Aufstieg in die Kleinbürgerklasse machte, erhielt auf dem privatisierten Immobilienmarkt ein festes Haus zu subventionierten Preisen. Der politische Preis war klar: Unterstützung des Apartheidsystems auf Kosten der zu kurz kommenden Migranten aus den sogenannten „Bantustans“. Die ungelernten Arbeitskräfte wurden in die Selbsthilfe-Siedlungen mit minimalen Serviceleistungen der Kommune abgedrängt. Und der „hässliche Rest“ musste in schnell wachsende Squatter-Siedlungen an den urbanen Peripherien.
Trotz des Boykotts der eingerichteten Dienstleitungen durch die Arbeiter in den schwarzen Kommunen hat das Gift der Klassendifferenzierung an der Solidarität der Unterdrückten genagt. Die Gewerkschaften ließen die Migranten in den Single-Sex-Hostels in den 1980er Jahren in Stich. Diese haben teilweise unter Führung der Inkatha gegen die aufsässigen Squatter-Camp-Bewohner gekämpft, während diese wiederum Raubzüge in die Häuser der aufstrebenden schwarzen Kleinbürger organisiert haben. Mike Morris und Doug Hindson schlugen 1992 in einem Beitrag für South African Review 6 daher vor, man müsse die Existenz unterschiedlicher Klasseninteressen unter den Unterdrückten akzeptieren, aber daran arbeiten, Kooperationsprojekte zwischen den Klassen aufzubauen, mit dem Ziel, die Exzesse des Marktes bzw. des Systems privaten Eigentums zu kontrollieren und in Grenzen zu halten.
Der ANC ist dieses Problem nicht angegangen. Die schwarzen Haushalte in informellen Siedlungen und illegalen Squattercamps machen immer noch rund 27 Prozent der Metro-Haushalte aus. Ihre Bewohner sind frustriert, beteiligen sich daher entweder nicht mehr an den Wahlen oder sie unterstützen die Opposition. Ein für den ANC verlorenes Stimmenpotenzial.
Eigentumstitel für die Armen
Aus diesem Grunde raten Peter Bruce, Herausgeber des Wirtschaftsmagazins Financial Mail, und Allister Sparks vom Business Day der Democratic Alliance, die jetzt die Kontrolle über Kapstadt, Johannesburg, Tshwane und Nelson Mandela Bay hat, dass sie den Schwarzen in den städtischen informellen und illegalen Siedlungen das kleine Stück Land vermacht, auf dem ihre Blechhütte steht. Sie sollen darauf einen formellen Titel bekommen, der in einem städtischen Katasteramt verzeichnet wird. Mit dem Eigentumstitel sollen die Armen einen Anflug von Hoffnung bekommen. Sollten sie im Hinterhof von Eigentümern wohnen, müssten diese entschädigt werden. Das könnte der Beginn von einer inklusiv wachsenden Wirtschaft werden. Auch auf dem Land gehört den Leuten nicht das Grundstück, auf dem ihre Lehmhäuser stehen, weil der ANC unter Zuma so eifrig die Interessen der Chiefs bedient, dass er die Interessen des Volkes ignoriert. Auch hier wäre die Antwort: Eigentumstitel und Entmachtung der Chiefs. Geht das alles so einfach?
Dieser an der Eigentumsideologie orientierte Vorschlag zeigt zweierlei: Erstens wäre das Großkapital bereit, sich mit der DA zu liieren, wenn dem ANC die Wählerbasis verlorengeht. Zweitens sieht es aus wie eine Wiederauflage von Überlebensstrategien der Kapitalbesitzer gegenüber der Masse der enteigneten, armen und an den Wahlen nicht mehr teilnehmenden Hälfte der Bevölkerung, deren Vertrauen in den ANC rapide schwindet. Da verwundert es auch nicht, dass ausgerechnet Peter Bruce als Stimme des Großkapitals sich für eine vom Politologen Steven Friedman herbeigesehnte sozialdemokratische Partei stark macht, die in der Lage wäre, ein inklusives Wirtschaftswachstum zu realisieren, und dem jetzigen ANC, der DA und den EEF jede Menge Stimmen abnehmen könnte. Es gehe, so Bruce in einem Editorial der Financial Mail (23.6.2016), nicht darum, Profit zu zerstören, sondern darum, dass der Kapitalismus dem öffentlichen Wohl des Volkes diene („Put people before the needs of profit“, wie die spanische Podemos-Partei es formulierte).
Laut Bruce könne der Industrie- und Handelsminister Rob Davies noch so viele neu gebaute Autofabriken eröffnen und dabei die Autoindustrien für ihre Investitionen mit Steuergeldern Südafrikas entschädigen. Die Wahrheit bliebe dennoch, dass Südafrika seine verarbeitende Industrie verlieren würde und damit auch Tausende von Arbeitsplätzen.
Kampf um schwarze Mittelklasse
Bruce geht es um die Rettung der „freien“ Marktwirtschaft. Die Gewerkschafterin Sahra Ryklief, Generalsekretärin der „International Federation of Workers Education Associations“ im Westkap, weist in ihrer Wahlanalyse in „Groundup“ (23.8.2016) darauf hin, dass die DA als Partei eher konservativer Wähler es jetzt schaffte, dem ANC in den Metropolen einen erheblichen Teil der schwarzen Kleinbürgerstimmen abzuwerben. Dabei hat sie kein politisches Programm für größere sozio-ökonomische Gleichheit zwischen den Einkommensklassen zu bieten. Es reicht, eine saubere und transparente Regierungs- und Verwaltungsleistung anzubieten. Im Kontrast zur korrupten ANC-Elite ist das schon viel. Und die EFF, die für sich in Anspruch nehmen, das Erbe des genuinen Widerstands gegen die Apartheid zu wahren und die Partei für die Armen zu sein, kann bei allen fälligen Beschlussnahmen der DA-Minderheitsregierungen das Zünglein an der Waage sein für Erfolg und Misserfolg.
Im Endergebnis hat der ANC in den Kommunalwahlen 5086 Rathaussitze gewonnen, die DA 1023 und die EFF 731 Sitze. Alle anderen Parteien und unabhängige Kandidaten haben zusammen nur 427 Sitze. Die Politik in den lokalen Kommunen in Südafrika wird also weiterhin vom ANC dominiert. Doch die Zukunft sieht für ihn nicht rosig aus. Die Bürger bemerken, dass ein autoritärer ANC keine Kritik erträgt (Zensur beim SABC) und spontane Proteste (Marikana) nicht managen kann. Wenn der ANC-Präsident die Verfassung verletzt, reicht seine Entschuldigung aus, woraufhin der ANC ihn weiter regieren lässt.
Vielleicht, so Ryklief, könnte der ANC die Zukunft Südafrikas durch eine Reform seines Parteiensystems retten, etwa dadurch, dass durch direkt gewählte Wahlkreisrepräsentanten eine politische Führung von unten nach oben aufgebaut wird.
Das würde Politiker und Politikerinnen schaffen, die sowohl ihrem Wahlkreis als auch ihrer Partei gegenüber Rechenschaft ablegen müssen. Sie wären nicht allein abhängig vom Diktat einer intransparenten Parteiführung.
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