Südafrikas Rückzug aus dem Internationalen Strafgerichtshof [IStGH] sendet das falsche Signal und könnte weitere Austritte nach sich ziehen. Henning Melber* berichtet, analysiert und kommentiert:
Am 19. Oktober 2016 kündigte Außenministerin Maite Nkoana-Mashabane Südafrikas Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Sie erklärte, die eigenen Menschenrechtsauffassungen seien nicht mit denen des IStGH vereinbar. Wie Justizminister Michael Masutha auf einer Pressekonferenz am 21. Oktober begründete, kollidiere die Auslieferungspflicht an den Strafgerichtshof mit Gesetzen, die Staatsoberhäupter bei einem Aufenthalt in Südafrika durch diplomatische Immunität schützen. Südafrika sei mit der Ratifizierung des Römischen Statuts zur Verhaftung und Auslieferung auch dieser Personen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Völkermord gezwungen. Ein Ausstieg würde dieses Problem lösen.
Bereits im August 2015 befand sich die Regierung auf Kollisionskurs mit den Verpflichtungen.
Bereits im August 2015 befand sich die Regierung auf Kollisionskurs mit den Verpflichtungen. Noch zur Vereidigung Jacob Zumas als Staatsoberhaupt am 9. Mai 2009 wurde Sudans Regierung übermittelt, dass bei einer Teilnahme von Präsident Omar al-Bashir einem Auslieferungsgesuch des IStGH Folge geleistet würde. Dieser ließ sich von Vizepräsident Salva Kiir vertreten. Als al-Bashir dann am Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) in Johannesburg Mitte Juni 2015 teilnahm, missachtete die Regierung das Auslieferungsgesuch. Während ein Gericht die von einer Menschenrechtsorganisation eingereichte einstweilige Verfügung auf Einhaltung der Verpflichtungen verhandelte, wurde Bashir ganz unzeremoniell hastig außer Landes gebracht, bevor das Gericht die Auslieferung für rechtens befand. Der Einspruch gegen das Urteil durch die Regierung wurde am 16. September 2015 durch das Obergericht von Nord-Gauteng verworfen. Daraufhin wurde im Oktober bekannt, dass die Parteiführung des ANC empfohlen habe, Südafrika solle den IStGH verlassen.
Afrikanische Solidarität versus Menschenrechte?
Dass Bashir und die südafrikanische Regierung es auf das Kräftemessen mit dem IStGH und der südafrikanischen Justiz ankommen ließen, hatte ein Vorspiel auf dem Sondergipfel der AU vom 12. Oktober 2013 in Addis Abeba. Mit Uhuru Kenyatta und William Ruto waren in Kenia genau jene an die Macht gelangt, gegen die der IStGH zu den politischen Gewaltakten vor und während der Präsidentschaftswahlen 2007 ermittelte. Deren (seither rückgängig gemachte) Vorladung vor den IStGH wurde als Affront gegen die Souveränität afrikanischer Staaten (miss-)verstanden. Ironischerweise gehörten zu den Initiatoren der Anti-IStGH-Kampagne teilweise dieselben, die zuvor den IStGH um Strafverfolgung in Fällen ersucht hatten, die ihren Interessen entgegen kamen. Wie ein früherer Diplomat dazu anmerkte, wächst die Kritik am IStGH sobald dessen Ermittlungen sich den Machtzentren nähern und nicht auf die eher obskure Welt von Rebellenführern beschränkt bleiben.
Obgleich der AU-Sondergipfel in Addis keine unmittelbaren Folgen hatte, konnte der AU-Gipfel in Johannesburg wohl als Testfall gelten. Der frisch gekürte namibische Staatschef Hage Geingob erklärte dort nicht nur Robert Mugabe zu seinem Vorbild, sondern den IStGH zu einer Abscheulichkeit. Afrikanische Staaten, räumte er ein, mögen den IStGH mit geschaffen haben. Wenn der Gerichtshof aber zu einer Abscheulichkeit verkomme, hätten sie das Recht, diesen zu verlassen, da er nicht länger den eigentlichen Zielen diene. Am 23. November 2015 kündigte der Informationsminister Namibias an, dass die Regierung die Mitgliedschaft im IStGH beenden wolle.
Am 12. Oktober bestätigte das Parlament den Beschluss der Regierung zum „Burexit“.
Schließlich war es Burundi, das als erstes Land die Drohung wahrmachte. Nachdem IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda im April 2016 eine vorläufige Untersuchung der politischen Gewalt im Zuge der Bemühungen um eine dritte Amtszeit des Präsidenten ankündigte, bestätigte das Parlament am 12. Oktober den Beschluss der Regierung zum „Burexit“.
Burundis und Südafrikas Initiative wurde von Ugandas Staatschef Yoweri Museveni – der schon zuvor anlässlich der Vereidigung zu seiner fünften Amtszeit im Mai 2016 den IStGH als einen Haufen nutzloser Leute erklärte – beifällig quittiert, indem er den Gerichtshof erneut als unnütz bezeichnete. Am 25. Oktober begründete Gambia als drittes afrikanisches Land den Rückzug damit, der IStGH würde nur zur Verfolgung afrikanischer Führer missbraucht. Pikanterweise ist die IStGH-Chefanklägerin eine frühere Justizministerin des Landes und der gambische Jurist Hassan Jallow war Chefankläger des Strafgerichtshofs gegen Ruanda in Arusha.
Wie geht es weiter?
Es ist anzunehmen, dass der Austritt afrikanischer Länder sich nicht auf dieses Triumvirat beschränken wird. Kenias Präsident Kenyatta hatte schon anlässlich des AU-Gipfels im Januar 2016 vorgeschlagen, dass afrikanische Staaten geschlossen austreten sollten. Alles deutet darauf hin, dass mit weiteren Austrittserklärungen gerechnet werden kann. Diese bleiben aber auch auf dem Kontinent nicht unumstritten. Sowohl Senegal als auch Botswana zeigten sich besorgt und mahnen zur Besonnenheit. Damit wird deutlich, dass afrikanische Solidarität nicht grundsätzlich ein Menschenrechtsbewusstsein außer Kraft setzt.
Zudem zeigen zivilgesellschaftliche Reaktionen, dass die Unterstützung der Regierungen unter den Bevölkerungen der Länder nicht ungeteilt ist. So wird daran erinnert, dass viele dieser Länder selbst einmal Nutznießer eines internationalen Rechtsbewusstseins waren, das zu Formen globaler Solidarität führte.
Gerade Südafrika profitierte davon,
dass die Generalversammlung der Vereinten Nationen
Apartheid
zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erklärte
und Sanktionsbeschlüsse nicht zuletzt darauf beruhten.
Namibias völkerrechtliche Souveränität
wurde unter direkter Aufsicht der Vereinten Nationen verwirklicht.
Der doppelte Maßstab ist ausnahmslos allen `Big Five´ anzulasten, auch wenn dies die Regierungen Afrikas so nicht thematisieren.
Der Internationale Strafgerichtshof wird ständig mit dem Vorwurf der Einseitigkeit konfrontiert. Doch dass die wirklich mächtigen Staaten sich dessen Rechtsprechung nie unterwarfen, ist diesem nicht anzulasten. Ein Rückzug als Konsequenz stellt aber die Argumentation auf den Kopf. Vielmehr sollte die Diskussion auf einer anderen Ebene geführt werden: Ein Beschluss darüber, welche Geschehnisse als Verdacht auf Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord vom IStGH untersucht werden, sollte einzig von den Staaten getroffen werden, die diesen als Rechtsinstanz anerkennen. Dann hätte keines der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats eine Verfügungsgewalt über den IStGH – weder die viel geschmähten westlichen Länder noch Russland oder die Volksrepublik China. Der doppelte Maßstab ist ausnahmslos allen Big Five anzulasten, auch wenn dies die Regierungen Afrikas so nicht thematisieren.
Dass die Entscheidung der Regierung Südafrikas ohne parlamentarische Zustimmung vollzogen wurde, dürfte in absehbarer Zeit das Verfassungsgericht beschäftigen. Immerhin ratifizierte das Parlament den Beitritt zum Strafgerichtshof. Die Experten sind deshalb geteilter Meinung, ob die Kündigung ohne parlamentarische Rückendeckung rechtens ist. Sollte es diese dank des Fraktionszwangs des ANC noch geben, wäre die Diskussion allerdings längst nicht beendet.
Angesichts der Reaktionen ist gewiss, dass die Entscheidung nicht nur dem internationalen Ansehen Südafrikas in Teilen der Welt weiter schadet, sondern auch innenpolitisch brisant ist. Die teilweise hitzig und emotional geführte Debatte mag dabei vorübergehend von anderen tagesaktuellen Brennpunkten ablenken, diese aber gewiss nicht lösen.
*Henning Melber >> Internationale Politik und Gesellschaft [IPG], 31.10.2016
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