Alex Boraine | Kenneth Lukuko: Aussöhnung steht noch aus

Desmond Tutu und Alex Boraine (v.r.n.l.), Wahrheits- und Versöhnungskommission, 1998 [Foto: Leon Muller, www.iol.co.za ]

DURBAN, Montag, 08.09.2014:  Die Regierung ignoriere die Empfehlungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission, und dies habe Südafrikas Chance auf Aussöhnung geschmälert.

In einer Podiumsdiskussion in Durban heute sagte Alex Boraine, der seinerzeit stellvertretender Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission [Truth and Reconciliation Commission, TRC] gewesen war, dass der Versuch der Versöhnung „ein totgeborenes Kind“ sei, wenn sie nicht Hand in Hand mit ökonomischer Gerechtigkeit ginge, was bekanntlich nicht geschehen sei.

Auf dem Podium diskutierten außerdem der Autor und Kolumnist Max du Preez, die Sozialaktivistin Ela Gandhi, der frühere Richter am Verfassungsgericht Albie Sachs und Schauspielerin Thembi Mtshali-Jones.

Die Veranstaltung “Versöhnung demaskieren: 20 Jahre danach … Jenseits von Klischees”, wurde vom Durban Internationalen Filmfestival (Durban International Film Festival] durchgeführt, um die Vorstellung der Filme „Eine Schlange gebiert nur eine Schlange   [A Snake Gives Birth to a Snake]“ und „Sanfte Rache: Albie Sachs und das Neue Südafrika   [Soft Vengeance: Albie Sachs and the New South Africa]“ zu ergänzen.

“Die Wahrheits- und Versöhnungskommission deckte die Wahrheit auf und bewirkte Heilung.  Leider ging diese Wirkung verloren, als die Regierung anfing, nur einige der Empfehlungen umzusetzen, und die anderen völlig ignorierte, “ sagte Boraine.

Versöhnung sei nicht eine Alternative zur Gerechtigkeit, sondern Teil davon.  Die Regierung habe die Opfer der Apartheid und die Gesellschaft insgesamt im Stich gelassen, indem sie nichts tat und indem sie 120 Seiten der Kommissionsempfehlungen ignorierte.

“Wir als Land sind in Schwierigkeiten. Unsere Suche nach Aussöhnung wird noch Jahre dauern, wenn wir uns nicht eingestehen, dass wir in Schwierigkeiten sind, „ fügte er hinzu.

Alle Menschen Südafrikas, schwarze wie weiße, seien durch die Apartheid “psychisch beschädigt” worden, was Aussöhnung für jeden unerlässlich mache.

“Wir müssen die Vergangenheit hinter uns lassen, sie aufarbeiten und uns nach vorne bewegen, “ führte er aus.

Glaubensgemeinschaften hätten sich im neuen Südafrika ins Abseits zurückgezogen, nachdem sie im Freiheitskampf führend gewesen seien.

“Glaubensgemeinschaften könnten diesem Land in seinem Ringen um Versöhnung helfen.  Wir brauchen die Partnerschaft zwischen ihnen, der Regierung und der Zivilgesellschaft.

In seiner Reaktion auf Boraines Ausführungen meinte Kenneth Lukuko vom Institut für Gerechtigkeit und Aussöhnung (Institute for Justice and Reconciliation), die Wahrheits- und Versöhnungskommission hätte mehr erreichen können, wäre sie nicht eingeschränkt gewesen, was die Ziele, den zur Aufarbeitung festgelegten Zeitraum (1960-1994) und die für ihre Tätigkeit festgelegte Dauer [1996-1999] anbelangt.

“Da ist noch eine Menge unerledigter Aufgaben, was die Wahrheits- und Versöhnungskommission angeht”, hob er hervor. Dies sei auf die Einschränkungen und die Versäumnisse bei der Umsetzung ihrer Empfehlungen zurückzuführen.

Lukuko vertrat die Auffassung, dass die Regierung, die akademische Welt, die Glaubensgemeinschaften und die Kommission für die Umsetzung der Empfehlungen hätten verantwortlich gemacht werden sollen.

“Aussöhnung wird sehr schwierig, wenn es kein inklusives Verständnis von Geschichte gibt.  Genau das hätte erreicht werden können, wenn all die Empfehlungen umgesetzt worden wären.

“Wir hätten die Geschichte dieses Landes neu schreiben können, nur indem wir den Tätern – denen, die sich für grobe Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hätten – mehr Zeit gewährt hätten, ihre `Geschichte´  [`Stories´] zu erzählen, also ihre Version des Geschehenen.   Das Problem ist, dass einige der Täter während der Anhörungen dachten, es handele sich um eine Hexenjagd.  Ich denke aber, dass sie inzwischen erkannt haben, dass sie ohne Gefahr hätten aussagen können.  Allerdings: die Plattform dafür gibt es nicht mehr.

“Nun sitzen wir – 20 Jahre später – in einem Lande mit verschiedenen Versionen der Geschichte, und jeder und jede halten ihre für die richtige  –  die gerechte.“

Lukuko sagte, die Wahrheits- und Versöhnungskommission versäumte es, Fragen hinsichtlich der Wirtschaft und der Bildung zu behandeln mit dem Resultat, dass einige Opfer verbittert zurückgelassen wurden.

Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, der Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission gewesen war, wurde von Roger Friedman vertreten, der aus einem Artikel zitierte, den Desmond Tutu in der Wochenzeitung Mail and Guardian veröffentlich hatte.

Darin vertrat Tutu die Auffassung, dass die Kommission “einen tödlichen Schlag” erlitten habe, weil der frühere Präsident Nelson Mandela nicht für eine zweite Amtsperiode antrat.

“Ich glaube nicht, dass Mandela den Auftrag der Kommission so skandalös unvollendet gelassen hätte wie seine Nachfolger es taten, ”  fügte Tutu hinzu.

Die Empfehlungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission – so die Podiumsteilnehmenden zusammenfassend –  schlossen u.a. mit ein:

  • Errichtung eines Wiedergutmachungsfonds, der von der Regierung, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft verwaltet werden sollte.
  • Erhebung einer einmaligen Vermögenssteuer auf Unternehmen und Industrie.
  • Beitrag zum Wiedergutmachungsfonds durch Nutznießer der Apartheid.
  • Verabschiedung eines nationalen Aktionsprogramms, vorzuschlagen von der Südafrikanischen Menschenrechtskommission, um die Gesellschaft von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zu befreien.
  • Dass das Bildungsministerium, die Behörde für Qualifikationen und höhere Bildung dafür sorgen, dass diejenigen, die infolge des Freiheitskampfes ihre Ausbildung abbrechen mussten, sich weiter qualifizieren können.
  • Dass der Präsident, im Namen der Sicherheitskräfte des Apartheidstaates und der bewaffneten Kräfte der Befreiungsbewegungen, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen um Verzeihung bittet für die Gräueltaten, die gegen sie verübt wurden.

(Quelle:‘Government failed us’ after TRC, http://www.khulumani.net/khulumani/in-the-news/item/989-government-failed-us-after-trc.html  09.09.2014

Übersetzung aus dem Englischen: Ben Khumalo-Seegelken.

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Kommentare zu »Alex Boraine | Kenneth Lukuko: Aussöhnung steht noch aus«

  1. […] Struktur der Apartheid vorweggenommen. Gleichzeitig waren es viele christliche Akteure wie Desmond Tutu  und  Allan Boesak, die den Widerstand gegen die Apartheid prägten. Ihre Kritik am rassistischen […]

  2. […] orders. At the same time the struggle against apartheid was led by many Christian actors such as Desmond Tutu or Allan Boesak. The opposed the racist system in South Africa and made arguments based on biblical […]

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