Johannes Dieterich: Südafrikas Parlament wird zum Tollhaus
Oppositionspolitiker landen im Krankenhaus / Kommission spricht Präsident von Verfehlungen frei
KAPSTADT, 17.11.2014. Südafrikaner erkennen ihr Parlament nicht wieder. Wo einst Nelson Mandela von Abgeordneten aller Parteien mit stehenden Ovationen gefeiert und Debatten hart, aber im Rahmen parlamentarischer Gepflogenheiten ausgefochten wurden, herrschen inzwischen Chaos, Beleidigungen und sogar Handgreiflichkeiten vor. Nach einem verfassungswidrigen Einsatz von Bereitschaftspolizisten im Hohen Haus zu Kapstadt mussten in der Nacht zum Freitag mehrere Oppositionspolitiker im Krankenhaus behandelt werden.
Respektloser Stil
Über die Frage, ob die Verrohung der Sitten der Bunkermentalität des regierenden ANC oder dem respektlosen Stil der neuen Oppositionspartei, den „Ökonomischen Freiheitskämpfern“ (EFF), zuzuschreiben ist, gehen die Meinungen auseinander.
Das blutige Ende einer beispiellosen Parlamentssitzung bahnte sich bereits am Donnerstagmorgen an. Auf der Tagesordnung stand die Verabschiedung des Berichts einer Parlamentskommission zu den Unregelmäßigkeiten beim Bau einer Privatvilla des Präsidenten Jacob Zuma, die die Steuerzahler 246 Millionen Rand (knapp 18 Millionen Euro) kosteten. Die vom ANC dominierte Kommission sprach Zuma von allen Verfehlungen frei: Der Präsident habe nicht gewusst, dass Regierungsbeamte und der Architekt überteuerte Baumaßnahmen guthießen, heißt es in dem Abschlussbericht. Bereits vorab hatten sich sämtliche Oppositionspolitiker aus der Kommission zurückgezogen, die als „Weißwäsche“ kritisiert wurde.
Um eine Verabschiedung des Berichts zu verhindern, einigte sich die aus entgegengesetzten Strömungen bestehende Opposition auf eine gemeinsame Taktik: Mit einer Flut von Anträgen zur Geschäftsordnung suchten sie die Abstimmung so lange hinauszuzögern, bis angesichts ermüdeter Abgeordneter kein Quorum mehr zustande kommen würde. Parlamentssprecherin Baleka Mbethe, die gleichzeitig eines der höchsten ANC-Ämter innehat, suchte diese Taktik zu vereiteln, indem sie den Anträgen ein Limit setzte: Eine verfahrenstechnisch umstrittene Maßnahme, die zu ersten erbitterten Debatten führte. Schon zu diesem Zeitpunkt kam es in den Gängen des Parlaments beinahe zu einem Faustkampf zwischen einer Ministerin des ANC und einer EFF-Abgeordneten.
Die Freiheitskämpfer wurden Anfang dieses Jahres vom ehemaligen Chef der ANC-Jugendliga, Julius Malema, gegründet. Der 33-jährige feurige Politiker hatte seine Loyalität zu Zuma einst mit den Worten bekräftigt, er sei „auch bereit, für ihn zu töten“, überwarf sich allerdings mit dem ANC-Chef und wurde später aus der Partei geworfen.
Freiheitskämpfer in Overalls
Seitdem ist sein erklärtes Ziel, Zuma wegen Korruption vor Gericht zu bringen und er ist dazu auch bereit, mit der von Weißen dominierten Demokratischen Allianz (DA) gemeinsame Sache zu machen, die Malema ansonsten als „Rassisten“ brandmarkt. Seit die EFF bei den Wahlen im Mai 25 Abgeordnetensitze errang, hat sich die Stimmung im Parlament radikal verändert: Die Freiheitskämpfer, die Malema den „Oberkommandieren“ nennen, pflegen mit roten Overalls und Plastikhelmen ins Hohe Haus zu kommen. Trotz der Verzögerungstaktik von DA und EFF wurde der Kommissionsbericht schließlich mit 210 Stimmen des ANC gegen 103 Nein-Stimmen angenommen.
In einer anschließenden Debatte kam es dann vollends zum Eklat, als eine EFF-Parlamentarierin Zum wiederholt „den größten Dieb der Welt“ nannte und sich der Aufforderung des Parlamentssprechers zum Verlassen des Hauses widersetzte. Daraufhin tauchte plötzlich die Bereitschaftspolizei im Parlament auf – was einem Verstoß gegen die südafrikanische Verfassung gleichkommt. Sich den Polizisten in den Weg stellende DA-Abgeordnete wurden unsanft aus dem Weg geräumt: Manche zogen sich Prellungen und blutige Lippen zu. Die Live-Übertragung der Parlamentsdebatte wurde zu diesem Zeitpunkt unterbrochen – was die Vereinigung der südafrikanischen Chefredakteure heftig kritisierte. Überhaupt werden die Ereignisse das Land noch lange beschäftigen: Die DA verlangt den Rücktritt der Parlamentssprecherin, die EFF hat Anzeige gegen die Bereitschaftspolizei gestellt.
Johannes Dieterich
Quelle: Frankfurter Rundschau, POLITIK, 17.1.2014, 9.
Vom Untergang des “heiligen Raums” bis zur “besten TV-Show” reichen die Kommentare zur Parlamentssitzung in Kapstadt an diesem 13. November. Doch das Parlament ist weder ein Ort für TV-Unterhaltung noch ist es eine Kirche. Ich finde, man sollte die Kirche im Dorf lassen.
Parlamentarier auf der ganzen Welt beschimpfen sich gegenseitig in Parlamentsdebatten, machen Witze übereinander. In manchen “hohen Häusern” gehen sie gar mit Fäusten aufeinander los. Nicht nur die Geburtsstätte des Parlamentarismus, das “alt-ehrwürdige” britische Parlament in London, liefert laufend Anschauungsmaterial, auch der deutsche Bundestag und das Kiewer Parlament, das jüngst in die westliche Wertegemeinschaft aufgenommen wurde.
Im Laufe besagter Parlamentssitzung in Kapstadt stellte sich heraus, das die Opposition aus DA und EFF sich zum fililbustern verabredet hatten. Es hagelte Anträge (motions), teils völlig unsinnige, und Tagesordnungsanträge (points of order) aus den Reihen der Opposition. Sie wollten damit verhindern, dass der Bericht des Parlamentsausschusses zu Nkandla verabschiedet wird. Es ist ihnen nicht gelungen. Der Bericht wurde schließlich mit großer Mehrheit bestätigt. Allerdings, sehr viel später am Tage als von der Parlamentsregie geplant, was wahrscheinlich so manche und manchen Abgeordnete(n) verärgerte, weil damit der gebuchte Flug ins Wochenende futsch war.
Nach meiner Beobachtung – Parlamentssitzungen werden live auf DSTV übertragen – war das Präsidium sichtbar überfordert. Sie hatten nicht mit dem Filibustern gerechnet und sahen darin eine Provokation. Parlamentspräsidentin Baleka Mbethe ist eine streitbare Frau und neigt zu scharfen Worten im Umgang mit Opponenten. In ihrer Funktion als ANC-Politikerin ist das gewiss von Vorteil. Als Vorsitzende des Parlaments dürften diese Eigenschaften eher hinderlich sein. Aber auch ihre beiden Stellvertreter im Präsidium, die eher ein neutrales, ausgleichendes Auftreten an den Tag legen, hatten es sichtbar schwer, die Situation in den Griff zu bekommen. Teilweise erinnern die Szenen an den sprichwörtlichen Sandkasten im Kindergarten, wo sich die Kleinen gegenseitig Schaufel, Eimerchen und Sand an den Kopf werfen.
Der Ruf nach der Polizei kurz vor Mitternacht, wenn auch im Rahmen des parlamentarischen Ordnungsdienstes erlaubt, war dennoch ein eindeutiger Fehlgriff. Eine Steilvorlage für die Opposition, die diesen Auftritt nun weidlich ausnutzen wird.
Die Erschießung streikender Arbeiter in Marikana 2012 sitzt mir noch in den Knochen. Darum verschlägt es mir die Sprache – ich bin erschüttert und entsetzt darüber, dass die Polizei nun selbst ins Parlament beordert wurde und dass dabei Menschen bedrängt, angegriffen und verletzt wurden. Ob es den Regierenden noch gelingt, zuzuhören statt zuzuschlagen, wenn Regierte Fragen stellen, Kritik äußern oder Recht einfordern? Regierende, die auf Gewalt statt auf Argumente setzen, gefährden friedliches Zusammenleben und können die große Freiheit verspielen, die das Land sich erkämpft und errungen hatte. Noch ist Zeit zur Umkehr!
[…] zu erwarten war festgenommen und ausgeliefert worden wäre, nährt den gelegentlich vernehmbaren Zweifel an die Festigkeit des jungen Rechtstaates und stellt die völkerrechtliche Integrität des Landes zweifellos nachhaltig in […]