Gisela Albrecht: Beyers Naudé [1915-2004]

Christiaan Frederick Beyers Naudé [1985]

In einem Beitrag, den  Gisela Albrecht*  2004 über die Person und das Wirken des südafrikanischen Theologen Beyers Naudé  veröffentlicht hat, den ich an dieser Stelle auszugsweise in überarbeiteter Fassung vorlege, zeichnet sie den Werdegang des geachteten Mahners und Wegweisers Beyers Naudé vom früheren Verfechter und Nutznießer der Apartheid zum profilierten und konsequenten Gegner und Freiheitsapostel nach, der auch und gerade im „neuen“ Südafrika als Zeitzeuge und Mitgestalter Akzente gesetzt und neue Perspektiven begründet hat, nach:

„Wir, die wir zum großen Teil nicht mehr bewusst Zeitgenossen waren von Dietrich Bonhoeffer, hatten das große Glück, Zeitgenossen zu sein von Beyers Naudé, der im Südafrika der Apartheid einen sehr ähnlichen Kampf ausgefochten hat wie Bonhoeffer im Deutschland des Nationalsozialismus.“ [Gisela Albrecht, 2004].

Seine Geschichte – die Lebensgeschichte des südafrikanischen Theologen Christiaan Frederick Beyers Naudé [1915-2004] – ist die Geschichte einer Umkehr, bestürzend radikal, äußerlich aber beinahe lautlos und ohne zeitlich fixierbaren Bruch. So etwas wie ein „Damaskus-Erlebnis“ hat es in seinem Leben nicht gegeben, keine blitzartige Erkenntnis, dass Apartheid Unrecht wäre und die biblische Begründung für eine nach – wie es damals hieß –  `Rassen´ getrennte Kirche eine Häresie, eine Irrlehre. Bei ihm war es nicht wie etwa bei Frikkie Conradie, einem Freund und jungen Kollegen, Bure wie er, aufgewachsen in der Ideologie der Apartheid wie er. Conradie genügte eine einzige Begegnung, ein einziges nachtlanges Gespräch mit einem Theologen von der anderen Seite der damals so genannten `Rassenschranke´, mit Allan Boesak, dann brach sein Apartheid-Weltbild zusammen und er begann sein Leben neu.

Beyers Naudé lebte fast bis zu seinem 40. Lebensjahr [1955] relativ unangefochten von der gesetzlich verordneten Ausgrenzung und Ausbeutung der `nicht-weißen´ Bevölkerung in seinem Lande – ganz integriert in die Ideologie seiner Kirche, der evangelisch-reformierten Kirche niederländischer Konfessionsfamilie, der Nederduitse Gereformeerde Kerk (NGK), und seines `Volkes´, der Buren; als Pastor in `weißen´ Gemeinden der NGK geliebt und bald als charismatischer Prediger in weiten Kreisen bekannt. 1940 als jüngstes Mitglied Aufnahme in den Broederbond, die geheime Zentrale weißer Macht, und dann bruchloser Aufstieg in die höchsten Ämter der NGK mit einer glänzenden – auch politischen Karriere vor sich.

Von der Apartheid weiß der NGK-Pastor Beyers Naudé praktisch nichts, davon wie Schwarze unter ihr lebten, erst recht nicht von Widerstand und Freiheitskampf der Mehrheitsbevölkerung – vom African National Congress, dem  ANC, etwa – hat er nur vage gehört, ein township nie betreten, Beyers Naudé hatte nur in weißen Wohnorten gelebt, in weißen Gemeinden gedient. Unterschwellig verläuft aber eine Gegenströmung der Irritation, des sporadischen Zweifelns, das er wegschiebt, so gut es geht. Unbemerkt von seinen Kollegen, sogar von seiner Familie, beginnt er mit einem erneuten Studium der Bibel und theologischer Literatur. Zum ersten Mal besucht er die Townships der Schwarzen, nimmt Kontakt mit nicht-weißen Geistlichen auf. „Es war ein intellektueller Prozess“ – so beurteilt er selbst im Rückblick seine Entwicklung, ein Urteil, das schwer zu verstehen ist, wenn man die existentielle Radikalität seines späteren Lebens bedenkt.

Als sich die Zweifel nicht mehr wegschieben lassen und er den quälenden inneren Kampf mit sich selbst kaum noch aushalten kann, ist er schon ein prominenter Kirchenführer im Zentrum der Macht.  Er zögert immer noch, das für wahr zu halten, was doch ganz offen vor seinen Augen liegt. Und er hat Angst. Angst, als Verräter zu gelten. Angst, vielleicht auch, vor dem Verlust seiner Macht. Militanz und Rebellentum sind seinem Wesen eigentlich fremd. Er bleibt, in welcher Phase seines Lebens er sich auch befindet, selbst Jahrzehnte später in der Zeit, als er unter Bann [Rede- und Versammlungs- und Publikationsverbot] lebt und nachts die jungen Untergrundkämpfer bei ihm Rat und Hilfe suchen, der burische Pfarrer, der Seelsorger, der nicht trennen sondern verbinden will.

Doch dann kommt Sharpeville, 1960, wo 69 gewaltfrei demonstrierende Schwarze von der Polizei erschossen werden. Das verändert alles für ihn. Als der Ökumenische Rat der Kirchen [Weltkirchenrat, WCC] in Reaktion auf Sharpeville im gleichen Jahr auf einer Konferenz in Cottesloe bei Johannesburg die Apartheid für unbiblisch erklärt, wird das gewissermaßen zur Kreuzstation: Beyers Naudé  weigert anschließend den ihm von seiner Kirche abverlangten Widerruf seiner Zustimmung zur Cottesloe-Erklärung  – eine offene Konfrontation mit der NGK, die zu seinem Ausschluss aus allen Ämtern seiner Kirche führt.  1963 ruft Beyers Naudé ein ökumenisches Netzwerk, das Christliche Institut, mit ins Leben.

Luther – Bonhoeffer – Naudé

Beyers Naudé ist bei der Haltung von Martin Luther angelangt – wie Bonhoeffer, der nach dem Beschluss zur Einführung des „Arier-Paragraphen“ in die preußische Landeskirche Flugblätter an die Bäume von Wittenberg nagelte mit dem Text: „Der Arier-Paragraph ist eine Irrlehre der Kirche und zerstört ihre Substanz. Darum gibt es einer Kirche gegenüber, die den Arier-Paragraphen … durchführt, nur noch einen Dienst der Wahrheit, nämlich den Austritt“. Tauscht man den Begriff „Arierparagraph“ gegen den der „Apartheid“ aus, ist das ein Text, der 30 Jahre später auch die Situation der Christen um Beyers Naudé in Südafrika genau trifft.

Beginn eines Kampfes

Cottesloe – das war für Beyers Naudé der Beginn eines Kampfes, der wie der Kampf der Bekennenden Kirche in Deutschland nicht nur ein theologischer Konflikt mit der Kirchenleitung war, sondern immer deutlicher eine politische Auseinandersetzung mit dem Staat wurde. Das Christliche Institut nahm die zentralen Begriffe der Bibel – Gemeinschaft, Gerechtigkeit, Versöhnung im Sinn der prophetischen Tradition – wörtlich und kündigte damit unausgesprochen und automatisch, denn das war nicht die Absicht, dem Staat die Loyalität; allein dadurch, dass es die Bibel „beim Wort nahm“ und dieses Wort durch die ökumenische Praxis der Parteinahme für Unterdrückte und des Eintretens für Recht gegen Unrecht lebte, stellte das Christliche Institut das Fundament des Apartheid-Staates in Frage, bestritt ihm seine Autorität, diese Begriffe für sich zu reklamieren und sie mit der Apartheid-Ideologie zu füllen. Was für eine politische Macht das in Leben umgewandelte Wort haben kann, bestätigte der südafrikanische Staat selbst: Das Christliche Institut wurde von der Apartheidsregierung zur „Gefahr für den Staat“ erklärt, Beyers Naudé selbst der Prozess gemacht.

Gelassen hat Beyers Naudé sich dann auch 10 Jahre später  – 1973 –  vor Gericht zur Unausweichlichkeit seines Widerstands gegen die Apartheididelogie bekannt: „Wenn eine Situation entstehen sollte, in der ein Christ aufgrund seiner Überzeugung von Gottes Wort dem Gesetz des Landes den Gehorsam verweigern muss, dann hat er vor Gott das Recht, das Gesetz zu missachten; ihm muss [dabei] jedoch klar sein, dass er die Folgen für diesen Ungehorsam auf sich nehmen und sie ertragen muss.“

Zum Schweigen verurteilt – zum begehrten Gesprächspartner avanciert

Man hat oft gesagt, dass der Bann einen Menschen lebendig begräbt. Es ist sicher, dass dem Apartheidstaat das mit Beyers Naudé niemals gelungen ist. Sie hatte ihn im Oktober 1977 mit der Bannverfügung belegt, die sie erst sieben Jahre später wieder aufhob. Der öffentlich schweigende Beyers war beredter als zuvor, und der in der politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Kommunikation fast ganz auf Einzelgespräche im privaten Raum seines Hauses eingeschränkte Beyers möglicherweise von größerer politischer Wirkung als der öffentlich und international agierende Direktor des Christlichen Instituts. Und das, ohne dass der Bann ihn zum Märtyrer machte – das ließ er nicht zu. Traf man ihn in seinem Garten unter dem Aprikosenbaum – sein Haus und sein Telefon wurden ständig überwacht -, benahm er sich so gelassen und entspannt, als hätte er nicht bemerkt, dass ein Wagen mit Beamten des Geheimdienstes demonstrativ vor der Tür seine Hauses stand.

Vielleicht wuchs seine Ausstrahlung, weil seine außergewöhnliche Begabung zur Präsenz, zur Konzentration auf den Menschen, der vor ihm war, nun unbehindert war, frei von den überwältigenden, teilweise chaotischen Verpflichtungen des Büro-Alltags im Diakonia-Haus. Und natürlich war der Bann in den Augen der rebellischen township-Jugend auch eine Art Ritterschlag der Glaubwürdigkeit, ein sichtbarer Beweis für seine Solidarität: „Bis ich gebannt war, haben sie mir nicht wirklich vertraut“, hat Beyers gesagt, „aber von dem Moment an, als ich die Bannverfügung erhalten hatte, sprachen sie untereinander anders: Jetzt ist der Typ über jeden Zweifel erhaben, er ist bereit, den Preis zu bezahlen. Die Tatsache, dass die Apartheidsregierung so gegen ihn vorgeht, beweist uns, dass er im Befreiungskampf in Wahrheit auf unserer Seite steht.“

Es war die Zeit der fast totalen äußeren Reduktion auf sein Haus im so beschaulichen weißen Stadtteil Greenside, in der Beyers Naudé die Grenzen seiner von der Geburt ins Weiß-Sein geprägten Existenz weiter überschritt als zur Zeit seiner Bewegungsfreiheit; Menschen aus allen Teilen der Welt kamen zu ihm, aus allen Lebensbereichen, mit allen erdenklichen Anliegen;  und er nahm sie alle ernst, auch wenn es persönliche Kümmernisse waren und keine politischen Fragen.

Was ihn und sein Leben am meisten verändert hat, wie er einmal gesagt hat: Als der Bann ihm das Verlassen seines weißen Wohngebiets verbot, kamen die schwarzen Südafrikaner zu ihm, einer nach dem anderen, bei Tag und bei Nacht. Sie nahmen ihn auf in ihre Gemeinschaft wie kaum einen Weißen vor ihm, ließen ihn teilhaben an ihrem Leben, an dem, was sie dachten und fühlten. Und  er hörte ihnen zu und kam näher an das Verstehen der Wirklichkeit des schwarzen Lebens als je zuvor. Er hat diese Nähe bewahrt – auch nachdem sein Bann abgelaufen und er als Generalsekretär des Südafrikanischen Kirchenrates wieder zur kirchenleitenden Persönlichkeit geworden war.

Teil der menschlichen Gemeinschaft werden!

Auch im „neuen“ Südafrika hat Beyers nicht aufgehört, Teil dieser Gemeinschaft zu sein: Er war Gast der ANC-Delegation, war bei den ersten Verhandlungen mit der Apartheidsregierung, also, wie Desmond Tutu sagte, midwife, Hebamme bei der Entstehung des neuen Südafrika. Bis zu seinem Tod – und vielleicht sogar im Tod – war Beyers Naudé ein Symbol dafür, dass man ganz und gar seiner Herkunft treu bleibe – er ist ein Bure geblieben mit jeder Faser seines Herzens – aber darüber hinaus Teil der menschlichen Gemeinschaft sein kann. Seinem Wunsch entsprechend wurde seine Asche sowohl im Alexandra Township verstreut wie auch auf dem Friedhof seiner früheren Wirkungsstätte, der weißen Gemeinde von Aasvoêlkop.

Als Beyers Naudé am 18. September 2004 in Südafrika zu Grabe getragen wurde, war es vielleicht ein Satz von Mandela, der genau das traf, was uns alle – auch wenn wir keine Worte dafür hatten – so sehr zu Beyers hingezogen hat. Beyers erinnere ihn, sagte Mandela, an den eigenen Weg, den er habe zurücklegen müssen, um ein Mitglied der menschlichen Familie zu werden, statt nur Teil einer begrenzten Gemeinschaft zu sein.

Am 10. Mai 2015 würde Beyers Naudé 100 Jahre werden.

*Gisela Albrecht hat Literatur Philosophie und Theologie studiert und sich als Journalistin auf Südafrika spezialisiert. Ihr gemeinsam mit Angela Mai gedrehter Dokumentarfilm „Memories of Rain“ über zwei südafrikanische Widerstandskämpfer wurde 2004 auf der „Berlinale“ uraufgeführt und war seither auf Festivals in aller Welt zu sehen.

Redaktion: Ben Khumalo-Seegelken 

17.01.2015

 

 

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Kommentare zu »Gisela Albrecht: Beyers Naudé [1915-2004]«

  1. […] Frauen und Männer der Generation von Christiaan Frederick Beyers Naudé, I […]

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