Margarita Tsomou: Frauen am Krisenherd

Das Spardiktat in Griechenland beeinflusst die Geschlechterverhältnisse bis in intimste Bereiche. Margarita Tsomou, Mitgründerin, Mitherausgeberin und Autorin der feministischen Zeitschrift „Missy Magazine“, analysiert und begleitet die Entwicklung kritisch. Sie schreibt dazu:

Vor dem griechischen Referendum am 5. Juli erklärte die feministische Initiative Fylosykis auf ihrer Website: „Wir werden `Nein´ sagen zur Austerität, weil wir nicht vergessen, dass die Krise nichtunsere ist. Wir werden `Nein´ sagen zu einer Europäischen Union der Ungerechtigkeit, des Sexismus, einer Europäischen Union, die unbezahlte Haus- und Pflegearbeit von uns verlangt und uns prekäre Arbeitsverhältnisse und Gewalt aufzwingt, um Banken zu retten.“

Das Statement zeigt: Sogenannte „Gender-„ oder „Frauenthemen“ werden in Griechenland nicht losgelöst von der Debatte über Ökonomie und der Banken- oder Schuldenkriese in Europa diskutiert. Nicht zuletzt weil die Krise das Zusammenleben der Menschen bis in die privatesten Berieche durchdringt und dabei den Alltag von Frauen entscheidend beeinträchtigt.

In den vergangenen Jahren sind die Einkommen in Griechenland um rund ein Dritte gesunken, die Arbeitslosigkeit kletterte dafür auf insgesamt 27 Prozent und auf mehr als 60 Prozent unter jungen Leuten. Die staatlichen Einsparungen im Gesundheitsbereich sowie die hohe Arbeitslosigkeit – Erwerbsarbeitslose sind in Griechenland nicht krankenversichert – führten etwa dazu, dass die Säuglingssterblichkeit um 43 Prozent stieg. Diabetiker stehen vor der Entscheidung, lebenswichtiges Insulin zu kaufen – oder Nahrung. Die Suizidrate stieg zwischen 2007 und 2011 um 45 Prozent. Vergleichsweise harmlos wirkt da noch das Einsparen der Heizkosten in öffentlichen Schulen.

Anders jedoch als der mediale Hype um die griechische Syriza-Anel-Regierung es suggeriert, sind die entscheidenden Akteure der Krise – ob als Leidtragende oder Widerständige – nicht halbstarke, mehr oder minder gutaussehende Männer mit oder ohne Krawatte. Nelli Kampouri, Forscherin an der Genderfakultät der Athener Panteion Universität, geht davon aus, dass die Kämpfe gegen den Abbau des Sozialstaats und gegen weitere Senkungen der Löhne vor allem von Frauen und Migrantinnen organisiert werden; das meint den Reproduktionskampf im Alltag mit den sozialen Folgender Krise, aber auch die öffentlichen Proteste, in denen sie oftmals eine führende Rolle einnehmen.

Die unbezahlte Arbeit für Frauen im Haushalt nimmt zu, weil erwachsenen Kinder wieder zu den Eltern ziehen.

Ein prominentes Beispiel hierfür sind die Putzfrauen des griechischen Finanzministeriums: Im Herbst 2013 begann der Protest der 595 Frauen, die aus ihren festen Anstellungen entlassen und durch private Dienstleister ersetzt worden waren. Über fast anderthalb Jahre hinweg bildeten die Putzfrauen die aktivste Gewerkschaftsbewegung im Land: Sie wohnten in einem Zelt vor dem Ministerium, solidarisierten sich mit vielen anderen Protestierenden auf Athens Straßen und hatten keine Angst davor, sich mehrfach mit der Polizei anzulegen. Siewurden zum Symbol der Hoffnung für die seit Jahren unter dem Spardiktat leidende griechische Bevölkerung.

Während die Frauen ihre Anstellung als Putzkräfte verloren, hat die unbezahlte Arbeit für Frauen im Haushalt zugenommen. Denn um Miete zu sparen, ziehen viele junge Erwachsene zu ihren Eltern zurück. Die Mütter wiederum werden dadurch oft zurück in die Fürsorgerolle für ganze Großfamilien gedrängt. Deswegen argumentieren Feministinnen des Genderausschusses von Syriza, wie etwa deren Sprecherin Gianna Kanavou, dass die Krise Frauen als Erstes und stärker trifft, weil der Rückbau des Sozialstaats die Pflege- und Reproduktionsarbeit zurückverlagert auf die Frauen. Andere feministische Gruppen sprechen auch von einer Zunahme häuslicher Gewalt als Auswirkung der Krise, da die soziale Verelendung und psychologische Demütigung Aggressionen unter Männern produziere, die – so die Annahme – an die Frauen weitergegeben werde.

Die Kritik an patriarchalen Verhältnissen ist zugleich eine Kritik an der Troika und der europäischen Austeritätsdoktrin

Dass Frauen im Mittelpunkt der Debatte um die Krise stehen, liegt auch daran, dass der gemeinhin von Frauen überproportional besetzte Billiglohnsektor mit prekären, unversicherten, unterbezahlten und flexiblen Arbeitsbedingungen nun auch geschlechterübergreifend ausgeweitet wird – vor dem Hintergrund, dass die Troika zur Bedingung für ihre „Hilfen“ gemacht hat, Gewerkschaftsrechte einzuschränken, wird Prekarität zum zentralen Modell für die Organisationen von Arbeit. Auch hierfür sind die protestierenden Putzfrauen ein Beispiel: Ihre Arbeitsplätze wurden abgeschafft, um die Reinigung des Wirtschaftsministeriums einem Subunternehmen zu überlassen, das unter Tarif bezahlte und jederzeit kündbare Leiharbeiter einstellte. Eine der protestierenden Putzfrauen erzählte in einem Interview, dass die Neuen gerade Mal zwischen 1,50 und zwei Euro pro Stunde verdienten.

Doch gerade weil Frauen überproportional prekär beschäftigt sind, ist insgesamt die Arbeitslosigkeit unter Frauen ein bisschen weniger drastisch angestiegen als bei den Männern (Frauen 2004: 16,1 Prozent, 2014: 30,4 Prozent. Männer 2004: 6,5 Prozent, 2014: 23,8 Prozent). Da Männer auch in Griechenland mehrheitlich in festen Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren, sind sie stärker vom Stellenabbau betroffen als Frauen, die ohnehin schon stärker im jetzt wachsenden Billiglohnsektor beschäftigt waren.

Es ist aber nicht ausschließlich so, dass die Krise zu einer Verschlechterung der gesellschaftlichen Lage von Frauen führt. Laut der feministischen gruppe Kammena Soutien (übersetzt: Verbrannte BHs) werden die in vielen Familien arbeitslos gewordenen Väter und Söhne von den Frauen in der Familie ernährt. Die Männer wiederum schmeißen den Haushalt und kümmern sich um die Kinder – und haben sich mit dieser Rolle notgedrungen arrangiert. Also kann der neoliberale Umbau des Sozialen auch zu einer Verschiebung der traditionellen Geschlechterrollen führen.

Auch in einem anderen Bereich spielen Frauen eine wichtige Rolle, so die Syriza-Ministerin für „Soziale Solidarität“, Theano Foteiou: nämlich in den „solidarischen Ökonomien“, die überall im Land aus der Not heraus entstanden sind. In den Jahren 2011 und 2012, als die Auswirkungen der Sparmaßnahmen immer krasser wurden, entstanden zahlreiche Einrichtungen: Suppenküchen, Tauschmärkte, Umsonstmärkte, soziale Klinken, Apotheken sowie Zeitbanken, in denen Dinge und Dienstleistungen seitdem ohne Geld getauscht werden. Foteiou betont, dass das mühsame Sammeln von Lebensmitteln, das kollektive Kochen, die Hilfsleistungen für Alte und Kranke vor allem von Frauen getragen werden. Es it eine Form des politischen Aktivismus, die weiblich dominiert ist – und die die Frauen stärkt.

Frauen kämpfen im Alltag, während Männer die politischen Reden schwingen. Das sagt auch die Gruppe Fylosykis. Das sei allerdings nicht nur negativ zu bewerten: „In diesem Prozess haben wir auch Hoffnung gesehen, wir haben gelernt zusammenzuarbeiten, unser alten Klamotten nicht wegzuwerfen, sondern gewaschen und gebügelt weiterzugeben, wir haben gelernt, autonom zu überleben.“

Anders wiederum stellt sich die Krise für migrantische Frauen dar, die überwiegend in Privathaushalten gearbeitet haben. Vor dem Hintergrund der fehlenden Leistungen des in Griechenland nie wirklich aufgebauten Sozialstaats haben in den vergangenen 20 Jahren griechische berufstätige Mittelstandsfrauen die Reproduktionsarbeit privat organisieren müssen und zur Bewältigung von Haushalt und Fürsorge die Arbeit von migrantischen Haushaltshilfen in Anspruch genommen. Doch diesen „Luxus“ kann sich die griechische Mittelstandsfamilie nicht mehr leisten, mit der Folge, dass migrantische Frauen, die vor allem im Hausarbeitssektor beschäftigt sind, in der Krise massenhaft ihre Jobs verloren. Außerdem sind sie und ihre Familien die Hauptziele von Angriffen der Neonazis, deren Anzahl seit Beginn der Krise stetig zunimmt. So zog die faschistische Partei Goldene Morgenröte bei den Wahlen 2015 mit 17 Sitzen ins Parlament ein. Auch Lesben, Schwule und Transpersonen sind vom Aufstieg der Nazis konkret betroffen, da sie nicht in das Bild der heterosexuellen, griechisch-orthodoxen Kleinfamilie passen. Gleichzeitig ist die queere Bewegung seit Beginn der Krise beeindruckend erstarkt: Während die Gay-Pride-Parade 2005 nur 2 000 Menschen zählte, kamen bei der letzten über 20 000 Aktivisten zusammen. So hat vor allem die LSBTI-Bewegung den seit den 1980ern mehr oder weniger verstaubten Feminismus in Griechenland erneuert und gesellschaftlich relevant gemacht.

Im Kontext der Krise agieren die feministischen, queeren und migrantischen Bewegungen mehr als nur als Interessensvertreter der jeweiligen Identitäten. Inmitten der härtesten Umstrukturierung der griechischen Gesellschaft nutzen sie die entstandenen Risse des alten und patriarchal strukturierten Establishments, um mit ihren Belangen – aber nicht nur für sich – Vehikel einer Transformation für eine gerechtere Gesellschaft zu werden. Denn die Kritik an den patriarchalen, autoritären und gewalttätigen Verhältnissen einer machogetriebenen Gesellschaft ist gleichzeitig eine Kritik an der Troika und der europäischen Austeritätsdoktrin.

Mit der Wahl der neuen Regierung, getragen von der Partei Syriza im Januar 2015, die die feministische Bewegung bisher unterstützt hatte, wurde die Hoffnung stark, dass die Situation von Frauen in der griechischen Gesellschaft verbessert werden würde. Die demonstrierenden Putzfrauen wurden im Frühjahr wieder eingestellt und sprachen am Internationalen Frauentag, dem 8. März 2015, im Parlament. Außerdem wurde das Gesetz zur Einbürgerung in Griechenland geborener Migranten über 18 Jahre verabschiedet und das Gesetz zur offiziellen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften vorbereitet.

Viele Genderaktivistinnen haben Syriza mit an die Macht gebracht –und werden jetzt von der Partei enttäuscht

Doch ob diese Gesetze Gültigkeit haben werden, ist fraglich. Die Gläubiger haben im Rahmen des erneuten sogenannten „Rettungspakets“ die griechische Regierung dazu gezwungen, bei Bedarf die in den letzten Monaten verabschiedeten Gesetze zurückzunehmen. In der Ende Juli getroffenen Vereinbarung der Troika mit der griechischen Regierung – also dem dritten Memorandum –ist festgelegt, dass jedes einzelne Gesetzvorhaben zunächst von den Gläubigern abgenickt werden muss und dann erst dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Dass Syriza die, den Souveränitätsverlust des Landes zementierende Vereinbarung unterschrieben hat, hat der Partei viel Kritik beschert – nicht zuletzt haben viele Genderaktivistinnen gemeinsam mit den Basisaktivistinnen, deren täglich Maulwurfsarbeit die Partei überhaupt an die Macht gebracht hat, aus Protest Syriza die Unterstützung entzogen. Denn Fakt der derzeitigen Politik ist, dass auch die Rechte von Frauen und LSBTI in Griechenland in der Gunst derjenigen sind, die die Vergabe von Krediten kontrollieren.

Das „Nein“ im Referendum hat kein Gehör und keine Anwendung gefunden, das neue Diktat aus Brüssel wird die soziale und rechtliche Lage von Frauen, LGBTIs und Migranten verschärfen –und so beweist Europa noch einmal mehr, dass Menschen- und Minderheitsrecht pure Rhetorik werden, wenn die Interessen von Banken, Investoren und Finanzmärkten priorisiert werden.

Quelle: MAGAZIN, FrankfurterRundschau, 10. Nov. 2015, Seite 21

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