„ … … bin durch und durch Analphabet“

Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer [83]

 „ … … bin durch und durch Analphabet“

Zum Tode des Literaturnobelpreisträgers Tomas Tranströmer [83] schreibt Anne Burgmer* in einer überregionalen Tageszeitung:

Als einen der größten Poeten unserer Zeit bezeichnete das Nobelpreiskomitee Tranströmer, als es ihn 2011 auszeichnete. In einer Welt, in der Lyriker nicht zu den Stars des Literaturbetriebs gehören, spielte Tranströmer eine herausragende Rolle. Der Dichter, den alle lieben, nannte ihn eine schwedische Zeitung. Dabei ist sein Werk überschaubar. Der Band „Sämtliche Gedichte“, erschienen 1997, umfasst 264 Seiten, seine Biografie „Die Erinnerungen sehen mich“ ist ein Buch von 80 Seiten. Tranströmer brauchte nie viele Worte. Er verschwendete die Sprache nicht.

               Ich bin umgeben von Schriftzeichen, die ich nicht deuten kann, ich bin durch und durch Analphabet“, heißt es in einem Gedicht.

„Überdrüssig aller, die mit Worten, Worten, aber keiner Sprache daherkommen“, in einem anderen. Er sei der Worte oft müde, hat Tranströmer schon 1990 in einem Interview mit „Dagens Nyheter“ gesagt. Er sei verzweifelt wegen der Masse an Worten und Texten, die ständig auf uns einströmen.

Tranströmer gelang es, alle Vorurteile, die mit Lyrik allzu oft in Verbindung gebracht werden, zu wiederlegen, ohne in Banalitäten abzurutschen. Seine Gedichte sind nicht weltfremd. Er kleidete Alltägliches in ein neues Gewand, wies der Metapher neue Möglichkeiten und eröffnete mit ausdrucksstarken Bildern ungeahnte Einblicke in scheinbar Vertrautes. Tranströmers Poesie beschreibe genau den Augenblick, in dem sich der Neben lichte, hat sein Freund Lars Gustafsson einmal gesagt.

Inspirationen fand Tranströmer früher bei langen Spaziergängen. In einem säkularisierten Land wie Schweden war er auf der Suche nach einem Ersatz für das, was Religion bieten kann. Kritiker bemängelten im Zuge der 1968er-Studentenbewegung, dass Tranströmers wenig konfrontative Poesie keinen Beitrag zu politischen Diskussionen leistete.

Er war verzweifelt wegen der Masse an Worten und Texten, die uns immerfort behelligen

Der Dichter, der sich politisch nie engagiert hat, betonte jedoch, dass sein Schaffen nicht auf Ideologien, sondern auf Visionen zurückzuführen sei.

Tomas Tranströmer wurde am 15. April 1931 in Stockholm geboren. Der Vater verließ die Familie früh; der Junge wuchs bei seiner Mutter auf, bei der er bis zu seinem 28. Lebensjahr wohnte. Nach dem Abschluss seines Psychologiestudiums 1956 trat er 1960 eine Stele in einem Heim für straffällige Jugendliche an. Über die Jahre hinweg arbeitete er mit Behinderten, Strafgefangenen und Drogenabhängigen. Bereits mit 23 Jahren, Tranströmer war noch Student, veröffentlichte er seine erste  Sammlung: „17 Gedichte“. Herausgegeben wurde der Band vom angesehenen Bonnier-Verlag, dem er treu blieb.

1966 erhielt der Dichter den Bellman-Preis, gefolgt von vielen anderen Auszeichnungen. Seit 1997 lobt die Stad Västerås, in der Tranströmer drei Jahrzehnte seines Lebens verbrachte, ihm zu Ehren den Tranströmer-Literaturpreis aus.

Seinen Beruf als Psychologe gab der Journalistensohn, der auch Literatur- und Religionsgeschichte studiert hatte, bis zum Schlaganfall nicht auf. Zuletzt lebte der Vater zweier Töchter mit seiner Frau Monica Bladh-Tranströmer im Stockholmer Viertel Södermalm. In einer hellen Wohnung mit Stäbchenparkett, scheinbar endlosen Bücherregalen und Orchideen auf der Fensterbank. Aus dem Fenster hatte er eine fantastische Aussicht auf die Weite und Schönheit der schwedischen Hauptstadt.

Es wirkte beinahe wie ein böser Scherz, den das Leben Tranströmer gespielt hatte, dass seine Erkarnkung ihn, den Dichter des Schweigens, zwang, auch körperlich um jedes Wort zu ringen. Sprechen konnte er seit fast 25 Jahren nur noch wenige Worte: „Ja“, „nein“, „da ist gut“. Seine Frau wurde zu seiner Stimme, konnte ihm im Gesicht ablesen, was er sagen wollte.

Wer die beiden zusammen erlebte, der spürte, wie eng sie verbunden waren. 1958 hatten sie geheiratet, er 27, sie 19. „Der Schlaganfall hat sehr, sehr viel verändert, der Nobelpreis eigentlich nichts“, so Monica Bladh-Tranströmer. Das glaubte man ihr – so unaufgeregt und beschieden wie die beiden mit der Auszeichnung umgingen.

Zum Schluss wurde der Kampf mit den Worten für den Dichter zu beschwerlich. In seinen letzten Jahren konzentrierte er sich fast ausschließlich auf die Musik. Er spielte Klavier, sammelte Stücke, die speziell für die linke Hand geschrieben worden sind. Es war die Sprache der Musik, die ihm bis zuletzt blieb.

*Anne Burgmer, „Ich bin durch und durch ein Analphabet“, Feuilleton, Frankfurter Rundschau, 30.03.2015, Seite 23

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